GRAPHISCHE SAMMLUNG
ANKÄUFE UND GESCHENKE
Im Zusammenhang mit unserer diesjährigen Sammlungs-
ausstellung amerikanischer Zeichnungen und Graphik
der siebziger und achtziger Jahre erwarben wir Werke von
Vito Acconci, Dan Flavin, Sol LeWitt und Bruce Nau-
man, die unsere umfangreichen Bestände sogenannter
«Minimal» und «Postminimal Art» in ausserordentlicher
Weise bereichern. Die Monumentalgraphik Vito Accon-
cis «Two Wings for Wall and Person» von 1981 ist als
lebensgrosse, tragbare Installation gedacht, denn der
Künstler sah das aus mehreren Platten zusammengesetzte
Bild in seiner Beziehung zur Wand und zum Raum. Im
Gegensatz zu seinen früheren Radierungen erreichte er
mit dem grossen Format, dass die Graphik in ihrer räum-
lichen Ausdehnung einem «realen Stück» nahekam.
Der Titel beschwört darüber hinaus die Anwesenheit eines
Menschen, der zwischen den beiden Flügeln steht und
seine Arme ausbreitet, als wolle er zum Flug ansetzen.
Eine Maschine zum Fliegen war schon immer ein Traum
des Menschen. Die als Vorlage genommenen Flügel
eines Spielzeug-Flugzeuges haben die rosa Farbe mensch-
licher Haut angenommen und sind auf menschliche
Masse vergrössert worden. Dennoch bleibt der Zwiespalt
zwischen Mensch und Maschine erhalten, da die tech-
nischen Details noch deutliche Hinweise auf das ur-
sprüngliche Flugzeug geben. Die beiden sich auf Male-
witsch berufenden Aquatintablätter von Dan Flavin
evozieren mit ihren leuchtend roten Farbflächen
Lichträume, ähnlich den Installationen dieses Künstlers,
in denen das fluoreszierende Licht der Leuchtröhren den
Raum verändert und die Raumgrenzen verschwimmen
lässt.
Sol LeWitt hat sich in den letzten Jahren stark von
seinen streng geometrischen und stereometrischen Kon-
zepten gelöst und ist zu einer ganz neuen malerischen
Freiheit vorgestossen -— vielleicht eine Parallele zu den
gleichzeitigen neoexpressionistischen Tendenzen in der
Malerei. In dem Aquatintablatt «Color and Black» von
1991, das im übrigen wie alle Radierungen eigenhändig
ist - nur Serigraphien und Holzschnitte lässt er von
Assistenten ausführen, Radierungen sind dagegen wie
Zeichnungen für ihn —-, setzt Sol LeWitt nach wie vor
die Primärfarben Gelb, Blau, Rot und Schwarz ein, nur
sind sie jetzt in einer völlig freien, informellen Bewegung
miteinander verbunden und leuchten an einzelnen Stel-
len aus dem beherrschenden Dunkel geheimnisvoll her-
aus. In der Gouache «Irregular wavy horizontal color
bands» von 1992 formen sie sanft bewegte Wellen, die
Assoziationen an die horizontlose Weite einer Meeres-
läche wecken.
Bruce Naumans Werke sind seit Beginn der achtziger
fahre direkter, provokativer und aggressiver geworden.
Arbeiten wie die «hängenden Stühle» haben eine bisher
ungewohnte, emotionelle Ausdruckskraft gewonnen: wir
besitzen die grossformatige Zeichnung «South America
Triangle» der Werkserie von 1981, in der sich Naumans
„olitisches Engagement offenbart, denn sie ist in unmiss-
verständlicher Weise als Kritik an den totalitären Regimen
in Südamerika und Südafrika zu verstehen. In den seit
1988 entstandenen Tierkarussels überwältigen die von
der Decke hängenden «enthäuteten» und verstümmelten
Tiere den Betrachter in ihrem Ausgeliefertsein und
provozieren eine Identifikation des Menschen mit der
geschundenen Kreatur. Es ist nicht von ungefähr, dass
Nauman gleichzeitig Wachsabgüsse von Menschen-
köpfen herstellt und diese in seinen Rauminstallationen
ebenfalls an Drähten «aufhängt». In unserem Aquarell
Hanging Head» von 1989 verstärken die von dem
nach unten hängenden Kopf heruntergespritzten hell-
roten Aquarellspuren durch die Assoziation an Bluts-
tropfen die Grausamkeit der Darstellung. «Mein Werk
entsteht aus der Enttäuschung angesichts der conditio
humana», sagt Bruce Nauman, «der Enttäuschung
darüber, wie grausam die Menschen zueinander sein
Können.»