Volltext: Jahresbericht 1994 (1994)

GRAPHISCHE SAMMLUNG 
ANKÄUFE UND GESCHENKE 
Im Zusammenhang mit unserer diesjährigen Sammlungs- 
ausstellung amerikanischer Zeichnungen und Graphik 
der siebziger und achtziger Jahre erwarben wir Werke von 
Vito Acconci, Dan Flavin, Sol LeWitt und Bruce Nau- 
man, die unsere umfangreichen Bestände sogenannter 
«Minimal» und «Postminimal Art» in ausserordentlicher 
Weise bereichern. Die Monumentalgraphik Vito Accon- 
cis «Two Wings for Wall and Person» von 1981 ist als 
lebensgrosse, tragbare Installation gedacht, denn der 
Künstler sah das aus mehreren Platten zusammengesetzte 
Bild in seiner Beziehung zur Wand und zum Raum. Im 
Gegensatz zu seinen früheren Radierungen erreichte er 
mit dem grossen Format, dass die Graphik in ihrer räum- 
lichen Ausdehnung einem «realen Stück» nahekam. 
Der Titel beschwört darüber hinaus die Anwesenheit eines 
Menschen, der zwischen den beiden Flügeln steht und 
seine Arme ausbreitet, als wolle er zum Flug ansetzen. 
Eine Maschine zum Fliegen war schon immer ein Traum 
des Menschen. Die als Vorlage genommenen Flügel 
eines Spielzeug-Flugzeuges haben die rosa Farbe mensch- 
licher Haut angenommen und sind auf menschliche 
Masse vergrössert worden. Dennoch bleibt der Zwiespalt 
zwischen Mensch und Maschine erhalten, da die tech- 
nischen Details noch deutliche Hinweise auf das ur- 
sprüngliche Flugzeug geben. Die beiden sich auf Male- 
witsch berufenden Aquatintablätter von Dan Flavin 
evozieren mit ihren leuchtend roten Farbflächen 
Lichträume, ähnlich den Installationen dieses Künstlers, 
in denen das fluoreszierende Licht der Leuchtröhren den 
Raum verändert und die Raumgrenzen verschwimmen 
lässt. 
Sol LeWitt hat sich in den letzten Jahren stark von 
seinen streng geometrischen und stereometrischen Kon- 
zepten gelöst und ist zu einer ganz neuen malerischen 
Freiheit vorgestossen -— vielleicht eine Parallele zu den 
gleichzeitigen neoexpressionistischen Tendenzen in der 
Malerei. In dem Aquatintablatt «Color and Black» von 
1991, das im übrigen wie alle Radierungen eigenhändig 
ist - nur Serigraphien und Holzschnitte lässt er von 
Assistenten ausführen, Radierungen sind dagegen wie 
Zeichnungen für ihn —-, setzt Sol LeWitt nach wie vor 
die Primärfarben Gelb, Blau, Rot und Schwarz ein, nur 
sind sie jetzt in einer völlig freien, informellen Bewegung 
miteinander verbunden und leuchten an einzelnen Stel- 
len aus dem beherrschenden Dunkel geheimnisvoll her- 
aus. In der Gouache «Irregular wavy horizontal color 
bands» von 1992 formen sie sanft bewegte Wellen, die 
Assoziationen an die horizontlose Weite einer Meeres- 
läche wecken. 
Bruce Naumans Werke sind seit Beginn der achtziger 
fahre direkter, provokativer und aggressiver geworden. 
Arbeiten wie die «hängenden Stühle» haben eine bisher 
ungewohnte, emotionelle Ausdruckskraft gewonnen: wir 
besitzen die grossformatige Zeichnung «South America 
Triangle» der Werkserie von 1981, in der sich Naumans 
„olitisches Engagement offenbart, denn sie ist in unmiss- 
verständlicher Weise als Kritik an den totalitären Regimen 
in Südamerika und Südafrika zu verstehen. In den seit 
1988 entstandenen Tierkarussels überwältigen die von 
der Decke hängenden «enthäuteten» und verstümmelten 
Tiere den Betrachter in ihrem Ausgeliefertsein und 
provozieren eine Identifikation des Menschen mit der 
geschundenen Kreatur. Es ist nicht von ungefähr, dass 
Nauman gleichzeitig Wachsabgüsse von Menschen- 
köpfen herstellt und diese in seinen Rauminstallationen 
ebenfalls an Drähten «aufhängt». In unserem Aquarell 
Hanging Head» von 1989 verstärken die von dem 
nach unten hängenden Kopf heruntergespritzten hell- 
roten Aquarellspuren durch die Assoziation an Bluts- 
tropfen die Grausamkeit der Darstellung. «Mein Werk 
entsteht aus der Enttäuschung angesichts der conditio 
humana», sagt Bruce Nauman, «der Enttäuschung 
darüber, wie grausam die Menschen zueinander sein 
Können.»
	        
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