ihren Geliebten im Jenseits vermutet, will sıe sich umbrin-
gen, doch dieser verhindert es und lässt sie die Versöhnung
mit Venus suchen, indem er sie ihrer Rache aussetzt: Wie-
der werden Grenzen überschritten, die für die Sterblichen
den Tod bedeuten. Die Prüfungen, die Psyche nun aufer-
legt werden, verweisen zunehmend auf das Totenreich bis
zur letzten, die direkt zur Fürstin des Hades führen soll.
Da sie nicht anders als durch den Tod dahin zu gelangen
weiss, will sie sich von einem Turm stürzen. Doch dieser,
plötzlich sprachbegabt, belehrt sie eines besseren Weges,
der ihr bei sorgfältiger Vermeidung zahlreicher Fallstricke
eine heile Wiederkunft ermöglicht. Wie wir bereits sahen,
gelang dies, doch kaum zurückgekehrt, sinkt sie durch
Proserpinas Schönheitssalbe in einen Todesschlaf, aus
dem sie durch Amor in den Olymp entrückt wird; eine
Form der Apotheose, die schon seit eh’ als Tod und Ver-
klärung von Götterlieblingen verstanden wurde.
Nun werden im Mythos zwar öfters die Grenzen zwi-
schen Leben und Tod überschritten, man denke etwa an
Odysseus’ Schattenbeschwörung, an Orpheus und Eury-
dike oder an Herakles und Alkestis, doch bleiben dies ver-
einzelte und letztlich meist erfolglose Heldentaten, von
denen sich das schwerelose Gleiten der Psyche durch die
Sphären vollständig abhebt. Sie ist auch gar keine Heldin,
sondern eine Person gewordene Idee - eben Psyche, was
zunächst nichts anderes ist als das griechische Wort für
«Seele» und zugleich für «Schmetterling». Dass auch bei
Amor eine im griechischen Götterhimmel sonst nicht
übliche begriffliche Identität von Figur und ihrer Wir-
kungsmacht, hier also der Liebe, herrscht, machte das Paar
im 18. Jahrhundert schon aus rein dichtungstheoretischen
Prinzipien attraktiv: man wollte von den aus Attributen
rein verstandesmässig zusammengeklebten allegorischen
Figuren ohne eigenes Leben wegkommen und Symbole
verwenden, die in sich selbst sinnvoll und lebendig sind
und zugleich allgemeinere Bedeutungen aufscheinen las-
sen. Obwohl Psyche also eine menschliche Person ist, eig-
net ihr als «Seele» doch ein lockereres Verhältnis zum Tod,
denn sie ist der sterblichen Welt nicht wie der Leib verfal-
len, sondern nach weitverbreitetem, vor allem von Platon
in seinem Phaidon vertretenem Glauben unsterblich.
In der Spätantike hat das Christentum diese platoni-
schen Ideen aufgegriffen und mit Vorstellungen von der
Wiederauferstehung des Fleisches und dem Jüngsten Ge-
richt mit seiner Trennung der Guten und Bösen vereint.
Die sich daraus ergebenden Widersprüche wurden in der
Scholastik zu einem System zusammengeschweisst, das uns
mit seinen tiefgreifenden Folgen religionspsychologischer
und weltlicher Art letztes Jahr in der Ausstellung «Himmel,
Hölle, Fegefeuer» plastisch vor Augen geführt wurde®. Im
Spätmittelalter und Barock spitzte sich der Glaube auf ein
Individualgericht in der Stunde des Todes zu, das über das
ewige Schicksal entscheidet. Diese Kluft trennt das Dies-
seits vom Jenseits und nur über die Fürbitte bei Christus
und den Heiligen besteht für die Lebenden die Möglich-
keit einer Einwirkung auf das Schicksal der Seelen im Jen-
seits, deren einziges Ziel die seligmachende Schau Gottes
ist. Der Tod hat so einen doppelten Aspekt: einerseits bil-
det er die Schwelle aus der Nichtigkeit des Diesseits, aus
dem Jammertal der Erde in die Eigentlichkeit des ewigen
Reiches Gottes, andererseits enthüllt er die Schrecken des
Jüngsten Gerichtes. Dass man wohlvorbereitet vor dieses
tritt — und nicht etwa im Stand ungebüsster Sünden, ist
die stete Sorge der christlichen Seele, die deshalb durch
das Bild des Todes ständig und drastisch an die Vergäng
lichkeit des Diesseits gemahnt werden muss.
Mit der Aufklärung nun begannen sich diese Vorstel-
lungen zu verschieben®. Während die neuzeitlichen Ent-
deckungen und der Rationalismus in gebildeten Kreisen
oft zu einem Deismus führten, der nur noch einen Schöp-
fergott, nicht aber die orthodoxe Lehre von Sündenfall
und Erlösung durch Christus vertrat, blieben andere
Ideen, wie die Unsterblichkeit der Seele, durchaus gültig
und im Einklang mit der Überzeugung, in der besten aller
möglichen Welten zu leben, wie sie ein notwendig all-
gütiger Gott nicht anders gewollt und erschaffen haben
muss. Dass Seelen ewiger Verdammnis anheimfallen, kann
in einem solchen Heilsplan keinen Platz haben; folge-
richtig entfallen mit den Schrecken des Gerichtes auch die
des Todes. Das entleerte Jenseits wird mit den Vorstellun-
gen eines in Empfindsamkeit und Pietismus gefühlsmäs-
sig intensivierten Diesseits erfüllt; insbesondere beginnt
sich der früher nur selten als heidnisch-antik oder gar zau-
berisch-dämonisch geäusserte Wunschgedanke allgemein
durchzusetzen, dass man seine Freunde und Verwandten,
seine Kinder und seinen Gatten wieder als Individuen