Volltext: Jahresbericht 1995 (1995)

GRAPHISCHE SAMMLUNG 
1995 hat sich in der Graphischen Sammlung -wo anders 
könnte man diesen Ausdruck treffender verwenden? - ein 
Blatt gewendet. Dr. Ursula Perucchi trat nach Zwanzig- 
jähriger Tätigkeit als Leiterin der Graphischen Sammlung 
(siehe dazu ihren Rückblick im Jahresbericht 1994) in den 
sogenannten «Ruhestand», das heisst, sie war die ganze 
zweite Jahreshälfte noch mit der Herausgabe des Katalogs 
der Videobestände des Kunsthauses beschäftigt, deı 
Anfang 1996 als Sammlungsheft Nr. 20 erscheinen wird. 
Frau Perucchi wurde im Juni durch den knapp vierzig- 
jährigen vormaligen Konservator des Kunstmuseums 
Sitten, Dr. Bernhard Fibicher, ersetzt. Wir wünschen Frau 
Perucchi bei ihren diversen neuen Aufgaben (wie etwa der 
Betreuung der Sammlung Hahnloser in der Villa Flora in 
Winterthur) viel Glück. 
Im Rahmen eines Museums getätigte Ankäufe sollten ja 
immer einerseits eine gewisse Kontinuität aufweisen 
(keine Fremdkörper in die Bestände einschleusen!) und 
anderseits den aktuellen Entwicklungen der Kunst Rech- 
nung tragen. Dabei muss die eine Aufgabe nicht als 
Restriktion verstanden werden, als unbedingtes Sich-ein- 
fügen-Müssen, die andere als die einzig mögliche, durch 
die Kenntnisse, die Beziehungen und den Geschmack des 
Konservators mitbestimmte Öffnung, als kennerschaft- 
liches Auswählen-Dürfen. Die beiden Anforderungen 
lassen sich meistens nicht nur kompromisslos, sondern 
sogar ideal vereinen. Stimmt man die drei grundlegenden 
Fragen: «Was gibt es schon?» (die Bestände), «Was wäre 
aeute wichtig?» (Analyse der zeitgenössischen Szene) und 
«Was gefällt mir?» (individuelle Wünsche des Konserva- 
tors) aufeinander ab, so ergibt sich für 1995 folgendes 
Bild: Unter den wichtigeren Ankäufen fnden sich eine 
Serie Zeichnungen und eine Serie Gouachen von zwei 
Westschweizer Künstlern, drei Aquarelle und ein knappes 
Dutzend Drucke von englischen Künstlern sowie sieben 
Zeichnungen und eine graphische Arbeit von einem in 
Biel lebenden Solothurner. Warum? 
Neben wichtigen Vallet- und Vallotton-Beständen im 
Bereich der Graphik und einem schönen Korpus von 
Zeichnungen Le Corbusiers und Louis Soutters (als letzte 
wichtige Akquisition eines welschen Künstlers im Jahre 
1975!) ist der französischsprachige Landesteil im Kunst- 
haus deutlich untervertreten. Bei den einzigen Werken, 
die später dazugekommen sind, handelt es sich um eine 
Zeichnung von Tinguely und einzelne Blätter aus den 
«Jahresgaben der Schweizerischen Graphischen Gesell- 
schaft». Aus diesem Grunde wurden von zwei welschen 
Künstlern wichtige Werkgruppen angekauft, die auf sehr 
persönliche Art und Weise die konstruktive (Manz) und 
die expressive Tradition (Landry) weiterführen, zwei Ten- 
denzen, die in der Graphischen Sammlung prominent 
vertreten sind -nicht zuletzt eben durch Le Corbusier 
und Soutter. 
Die 21 subtilen Farbstiftzeichnungen des Waadtländers 
Jean-Luc Manz sind am besten mit Musik zu vergleichen, 
die sich pianissimo aus einigen wenigen Grundtönen 
aufbaut, zu sanften Akkorden entwickelt und leicht dis- 
sonant wieder in Stille übergeht. Auf kleinformatiges, 
liniertes Papier bannt der Genfer Künstler Stefan Landry 
entweder einfache Alltagsgegenstände oder seine sexu- 
ellen Obsessionen. Kombiniert man die verschiedenen 
Blätter miteinander — was die 13 angekauften Gouachen 
auch erlauben -, so schaut das Niedliche und Banale 
plötzlich bedrohlich aus: Auf den kleinen bildhaften 
Gouachen entdeckt man eine Welt, die keine Unschuld 
mehr kennt. 
Die Bildhauerzeichnungen bilden einen Schwerpunkt 
in der Graphischen Sammlung. Die sieben neu dazu- 
gekommenen Zeichnungen (und eine graphische Arbeit 
als Geschenk) von Rene Zäch sind aber wider Erwarten 
nicht Skizzen zu dreidimensionalen Arbeiten, sondern 
autonome Zeichnungen: «Pläne» für utopische Installa- 
tionen und Architekturen. 
Von den dadaistischen Wortspielen führt ein direkter 
Weg zu einem Künstler, der versucht, Sprache bildhaft zu
	        
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