Volltext: Jahresbericht 1995 (1995)

;timmen, wenn er schreibt: «Selbst die Farbgebung und 
die Struktur der Haut erinnern an Hodler, zum Nachteil 
von Amiet, der nur gute Arbeit leisten konnte, wenn ihm 
das Thema entsprach und ihn inspirierte. Es kann als 
sicher gelten, dass Amiets internationaler Ruf heute sehr 
viel grösser wäre, wenn damals die Gartenszenen akzep- 
jert worden wären und für immer ihren Platz an einer so 
prominenten Stelle wie der Loggia des Kunsthauses ein- 
genommen hätten. So hängen die Karriere eines Künstlers 
und selbst noch sein posthumer Ruf oft von Schicksals- 
launen und Juryentscheiden ab.»* 
Ein schwerwiegender Vorwurf gegenüber dem Institut, 
das im Grunde Amiets Bedeutung bereits sehr früh 
erkannt hat! Und vor allem auch ein bedauerlicher Vorfall 
in Anbetracht der so schwierigen wie auch notwendigen 
Ablösung Amiets von der übermächtigen Vaterfigur Hod- 
ler, der für die damals bahnbrechenden Erfolge der jun- 
gen Schweizer Kunst aus internationaler Sicht zweifellos 
und zu Recht die zentrale Integrationsfigur war, der aller- 
dings jüngeren Künstlern - und nicht zuletzt Amiet — 
zunächst entscheidende Impulse vermittelt hatte, aber 
auch zur Symbolfigur werden musste, die es zu überwin- 
den galt. Das Verhältnis von Amiet zu Hodler —- und vice 
versa — scheint in dieser Beziehung geradezu paradigma- 
tisch. 
Amiets künstlerische Herkunft wies nicht darauf hin, 
dass er ausgerechnet auf Hodler treffen sollte. Amiets 
erster Lehrer, der weitgereiste Solothurner Frank Buchser, 
machte seinen Schüler vielmehr gegenüber den damals 
bahnbrechenden französischen Tendenzen hellhörig. In 
Pont-Aven schliesslich traf Amiet zwar nicht mehr Gau- 
guin - dieser weilte 1892/93 bereits in der Südsee -, aber 
dessen Bilder wie auch diejenigen van Goghs erschlossen 
ihm zuvor unbekannte Erfahrungen farblicher Aus- 
drucksweise. Als erster Schweizer Künstler wurde somit 
Amiet mit den jüngsten Tendenzen französischer Farb- 
kultur vertraut, und seine Rolle als Mittler zwischen 
diesen bahnbrechenden Errungenschaften und dem ein- 
heimischen Schaffen war prädestiniert. Unterbrochen 
wurde diese Mittlerrolle durch die Phase der unumgäng- 
lichen Auseinandersetzung mit dem nicht aus der Farbe 
entwickelten, sondern betont formalistischen Monumen- 
talstıl Hodlers, die 1904 zu einem eigentlichen Eklat führ- 
te. Zusammen mit Hodler, dem selbstredend der Haupt- 
saal vorbehalten war, wurde Amiet damals von der Wie- 
ner Sezession eingeladen, seine Werke zu zeigen: für den 
einen — Hodler - wurde die Veranstaltung zum Triumph; 
er schaffte damals den Durchbruch zur internationalen 
Anerkennung - für den andern - Amiet - geriet die Schau 
zum Debakel: man erkannte in ihm nur den Hodler-Epi- 
zonen. Amiets Antwort auf die nicht ganz ungerecht- 
“ertigte Kritik war gezielt, kraftvoll und überzeugend: er 
5esann sich auf seine älteren, in Frankreich entwickelten 
Erfahrungen und malte 1904 eine Reihe von Bildern, die 
nicht nur zu den eigenständigsten gehören, die uns der 
Künstler hinterlassen hat, sondern zu den wichtigsten 
Werken der (Schweizer) Malerei des beginnenden 20. 
Jahrhunderts zählen. Diese Rückbesinnung ist allerdings 
nicht nur auf die negative Wiener Kritik zurückzuführen; 
sereits 1903 ist das ausserordentlich kühne Bild «Der 
gelbe Hügel»* entstanden - ein Vorbote künftiger Ent- 
wicklungen zu strahlender Farbigkeit. Innerhalb der 
Hauptwerke dieses so bedeutungsvollen Jahres 1904 
1immt «Sonnenflecken» zweifellos den Ehrenplatz ein. 
Das lebensgrosse Ganzfigurenportrait von Amiets Gat- 
tin im Garten lebt völlig aus einer bewusst stilisierten 
Farbskala — lila/grün/gelb/weiss - und einer dekorativen 
Flächenhaftigkeit, deren Ursprünge in jugendstilhaften 
Arabesken offensichtlich sind. Allein — die Nennung die- 
ser einen, als erste in die Augen springenden Inspira- 
tionsquelle vermag nicht das komplexe Bezugssystem 
abzudecken, das diesem Bild zugrunde liegt. Denn das 
Thema des Spiels von Licht und Schatten - so würde man 
annehmen — ist doch wohl eines der Kernanliegen der 
{mpressionisten. Aber bereits Buchser beschäftigte sich 
damit, so dass Amiet während allen Stationen seines 
künstlerischen Werdeganges mit teilweise divergierenden 
Erfahrungen konfrontiert worden ist, die in diesem Bild 
verarbeitet worden sind. Man darf sich füglich fragen, wie 
es möglich war, Buchsers Protoimpressionismus,° Gau- 
zuins Cloisonnismus und natürlich auch ein Quentchen 
Hodlerschen Monumentalismus so zu verarbeiten, ohne 
dass ein unerträgliches Pasticcio resultieren würde. Nun — 
gerade darin liegt Amiets übergeordnete Begabung: dass 
er ganz offenkundig verschiedenste Anregungen aufgreift, 
Jiese aber zu einer absolut persönlichen, eigenständigen
	        
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