Full text: Jahresbericht 1996 (1996)

Pierrick Sorin. Video 
Der Junge französische Videokünstler ist noch nie in der 
Schweiz und im deutschsprachigen Raum präsentiert 
worden, obwohl er zu den interessantesten Figuren der 
Videoszene der 90er Jahre gehört. Das Kunsthaus zeigte 
sieben Videobänder und -Installationen von Sorin, die 
vor allem für ein jJüngeres Publikum zu einer Entdeckung 
wurden. 
Ralf Beil charakterisierte die Kunst des Franzosen in 
der Neuen Zürcher Zeitung vom 6. September 1996 tref- 
iend: «Was Pierrick Sorin im zeitgenössischen Kontext 
auszeichnet, ist die irritierende Verbindung von absurder 
Alltagsrealität, distanzierter Kunst- und Medienreflexion 
sowie autobiographischen Elementen. Der chronische 
Selbstfilmer inszeniert sich weniger, als dass er sich in 
Maskeraden vorführt, die stets zugleich kommentiert, 
entlarvt, Ja demontiert werden.» 
Pierrick Sorins erzählerisch gestaltete intime Selbstbe- 
trachtungen vor der Kamera sind immer Ausdrücke eines 
hoffnungslos pessimistischen Lebensgefühls. Trotz heite- 
rer Szenen, slapstick-comedy-artiger Einlagen und beis- 
sender Ironie scheint sich Pierricks Alltag auf repetitive, 
absurde, missglückte oder narzisstisch-perverse Gesten zu 
seschränken. Nun gelingt es Pierrick Sorin jedoch, diesen 
teils absurd-heiteren, teils deprimierenden Szenen eine 
emotionale Intensität zu verleihen, sie poetisch zu «subli- 
mieren» und auf die Gesellschaftsgegenwart abzustim- 
men: Eigentlich liefert Sorin Modelle, um unserer (trotz 
der Allgegenwart der Medien) fundamentalen Einsamkeit 
zu entfliehen. BF 
AUSSTELLUNGEN IM ERDGESCHOSS 
Paul Strand 
«On My Doorstep» taufte Paul Strand sein zweitletztes 
Portfolio. Und tatsächlich genügte ihm in seinen letzten 
Lebensjahren, die er im kleinen Dorf Orgeval bei Paris 
verbrachte, die Welt vor seiner Tür. Insbesondere der Gar- 
ten war sein Reich, die herabfallenden Herbstblätter durf- 
ten nicht berührt werden, die Natur war Schönheit per se. 
Dabei hatte sein Lebenswerk, das ihn zu einem der her- 
ausragenden Photokünstlern des Jahrhunderts macht, so 
ganz anders eingesetzt: grossstädtisch urban, dem Kubis- 
mus und der Technik zugewandt. Die mittlere Lebens- 
etappe galt dem politischen Engagement und dem Film- 
schaffen in Spanien, Mexiko und den USA in der Ära 
Roosevelt. 1951 übersiedelte er mit seiner dritten Frau 
Hazel nach Frankreich - der amerikanischste aller Photo- 
künstler wurde ein eingefleischter Europäer. Daran hatte 
vor allem der italienische Neorealist Cesare Zavattini 
einen herausragenden Anteil: mit ihm entstand 1953 
das Buch «Un paese» über Zavattinis Heimatort Luzzara 
am Po. 
Da seine Aufnahmen vor allem für Bücher entstanden, 
zeigte unsere Einrichtung Strands meisterliche Abzüge im 
Zusammenhang mit seinen Publikationen, wie «La France 
de Profil» (1952) oder «Outer Hebrides» (1962). Darin 
stellte Strand den einprägsamen Portraits einfacher Men- 
schen häufig anonyme Kunstwerke gegenüber, die aus 
dem kulturellen Erbe ihrer Region stammten. Diesem 
Gedanken folgend, bezogen wir Werke aus Ägypten über 
das gotische Mittelalter bis zu Marino Marinis «Ersilia» in 
die Ausstellung ein. Dies verstärkte Strands Anliegen, in 
Gesichtern und Dingen die Spuren der Geschichte zu 
erkennen, ihre gleichsam ewige Substanz. So gewann 
diese erste Übersicht zu Strands vorher wenig bekanntem 
oder unterschätztem Spätwerk ein ausserordentliches 
Publikum, das die Stille und poetische Tiefe seines Schaf- 
fens schätzen und lieben lernte. Damit seine 
Beschwörung der Natur nicht auf ihn und seine Zeit 
beschränkt blieb, trugen drei zeitgenössische Werke im 
Aussenraum seinen Geist in die Gegenwart, nämlich ein 
aus Drähten gefertigtes Baumspalier von Peter Kunz, eine 
Treibhaus-Installation des in Amsterdam lebenden Ame- 
rikaners Mike Tyler sowie im Mirö-Garten einen immer 
blühenden Kirschbaum von Steven Bachelder, einem 
Amerikaner in Stockholm, der den europäischen Traum 
weiter pfropft. GM
	        
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