Full text: Jahresbericht 1996 (1996)

chischen Stimmung der Protagonisten: die Donauschule 
entdeckt dramatische Möglichkeiten, ein pantheistisches 
Beben verschmelzt Mensch und Natur; Altdorfers 
Alexanderschlacht wird zum kosmischen Ereignis. Realisti- 
scher gestaltet Brueghel seine Jahreszeiten: das Sensorium 
für die spezifische Situation wird mit dem klimatischen 
Ausdruckswert des Herbsts oder Winters verbunden und 
dieses zugleich im Tun und Verhalten der Menschen 
beschrieben. 
Brueghels Licht und Farbe sind merkwürdig fahl und 
blass: das Zeichnerische dominiert und wirkt als abstra- 
hierende Verallgemeinerung. Mit dem Aufbrechen der 
Naturdarstellung in präzise Einzelaspekte um 1600 
kommt eine neue Unmittelbarkeit und Intensität ins Bild. 
Die Fokusierung auf die Hauptfiguren bei Caravaggio, auf 
die Dinge im Stilleben, auf einen sofort überschaubaren, 
atmosphärisch einheitlichen Ausschnitt ın der holländi- 
schen Landschaftsmalerei setzt den Betrachter unabweis- 
baren Situationen aus, die sein subjektives Erleben ent- 
schieden stärker in ihren Bann ziehen. Subjektiv bedeutet 
hier aber nicht individuell zufällig; die Struktur der Bilder, 
die Wahl der Gegenstände, das Tun der Menschen 
bewahrt bei aller realistischen Direktheit ein paradigma- 
tisch Allgemeines, dem eine Verankerung im Weltbild der 
Epoche entspricht: es ist die Schöpfung Gottes, geordnet 
nach Mass und Zahl, in die der Mensch eingebunden ist, 
in der sich die Gegensätze die Waage halten und alles von 
Ursprung bis Ende verknüpft ist. 
In der Landschaftsmalerei vermochte Claude Lorrain 
diese Weltsicht am dichtesten zu gestalten. Schon in sei- 
nem frühen Bild gelang ihm eine vollendete Synthese von 
exakter Naturbeobachtung, der Evokation bestimmter 
Stimmungswerte, einer beispielhaften Landschaftskon- 
struktion und Figurengruppierung und dies in einer for- 
mal künstlerisch spannungsvoll ausgeglichenen Harmo- 
nie. Wir haben auf die Konsonanz der topographischen 
Situation mit der Jagdgesellschaft hingewiesen, ihre inne- 
re ständische Organisation wird in Kleidung und Anord- 
nung erzählt. Vom Herrn der Jagd strahlen wichtige Lini- 
en aus, die die Komposition organisieren; die Richtung 
seines Willens entspricht dem Einfall des Lichtes und 
weist auf die offene Ebene, in die man aus dem Wald- 
gebirge hinabsteigt. Das Wasser wiederholt im Kontrast 
vom munter sprunghaften Bergbach zum breit und 
gleichmässig fliessenden Strom den Lebensrhythmus der 
von der Jagd zur Tagesarbeit zurückkehrenden Männer; 
das glitzernd frische Morgenlicht im schattigen Grund ist 
dem feinen Dunst der Ebene gegenübergesetzt. 
Lässt sich solche erzählerische Verknüpfung von Figu- 
ren und Landschaft ohne weiteres durch allgemein 
menschliche Einfühlung erschliessen, wenn man sich 
auch eine historisch wissenschaftliche Vertiefung durch 
zeitgenössische Parallelen wünschte, so entgeht dem 
modernen Betrachter leicht, dass hier wohl zugleich eine 
rhetorische Anspielung an Diana, die antike Göttin der 
Jagd, vorliegt. In der Geschichte des unglücklichen Jägers 
Aktaion, der die keusche Göttin im Bade erblickt, zur 
Strafe in einen Hirsch verwandelt und von seinen eigenen 
Hunden zerfleischt wird, schildert Ovid (Metamorpho- 
sen III, 153-160) den Hain der Keuschen mit Quell, Teich 
und Felsbogen, wie er in unserem Bild als Rastplatz der 
Jäger erscheint. Auch die andere «natürliche» Brücke, der 
Baumstamm, auf dem vorn ein Bursche den Bach über- 
quert, erinnert an eine mythisch vorzivilisatorische Früh- 
zeit, in die der Jägerstand insbesondere zurückreicht. Den 
«arco naturale» kannte Claude auch aus antiken Fresken; 
in einer Zeichnung überliefert er die verlorene Land- 
schaft, die bei den Bauarbeiten für den Palazzo Barberini 
kurz zuvor zum Vorschein kam. Dieses Naturphänomen, 
in dem quasi die Natur selbst zum Baumeister wird, zeug- 
te für die ın der Schöpfung waltende Vernunft und den 
Einklang von Mensch und Natur. Noch Salomon Gessner 
und seine Zeitgenossen liebten solche Erscheinungen, in 
den erfundenen Gouachen ebenso wie in der Natur, etwa 
in dem von ihm radierten «vom Wasser zu einer Brücke 
unterhölten Fels... ohnweit Rüti». 
Zeigt das frühe Morgenbild einen natürlichen Felsbo- 
gen als Hauptmotiv, so die grosse, reife Abendlandschaft 
den kunstvollen Triumphbogen Konstantins und das 
Kolosseum, die beiden berühmtesten Bauwerke der Anti- 
ke. Ebenso wie die Bildrhythmik grossartiger, der Aufbau 
komplexer, die Motivik reichhaltiger, ist auch die Erzäh- 
lung oder Aussage des Gemäldes vielschichtiger. Die Jäger 
waren modern gekleidete Genrefiguren, wie es zumal ın 
der nordischen Tradition üblich war, die damals von den
	        
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