Full text: Jahresbericht 1996 (1996)

sog. Bamboccianti in Rom neue Impulse erfuhr - der 
führende Pieter van Laer, gen. Bamboccio, war mit 
Claude befreundet. Doch dieser begann bald, seine Staf- 
fage zeitlos antikisch zu kleiden und als Protagonisten 
einer bestimmten Geschichte aus einem antiken Mythos 
oder der Bibel erscheinen zu lassen. Vor dem Konstan- 
tinsbogen zeigt er allerdings schlichte Hirten; seit alters 
wird deshalb die Komposition Pastorale genannt. Das Sitz- 
motiv der ihre Füsse waschenden Frau ist dem kapitolini- 
schen Dornauszieher nachgebildet und unterstreicht so den 
idealtypischen Charakter der Figuren. Damit werden die 
Landleute in das zeitlose Arkadien versetzt, diese poe- 
tische Gegenwelt zu der durch das Machtstreben korrum- 
pierten Wirklichkeit von Stadt und Hof. Die Dialektik 
zwischen den beiden Sphären ist in der Literatur konsti- 
tutiv; im Gemälde wird sie durch den Kontrast zu den 
römischen Bauten hinter der Bodenwelle evoziert. Damit 
kommt zugleich eine andere Spannung zur Geltung: die 
Zeit der Hirten ist die zyklische der Natur, die sich wach- 
send und absterbend stets erneuert; die Reiche aber sind 
der historisch linearen Zeit unterworfen, die keine Wie- 
derkehr kennt. Endgültig vorbei ist die Grösse Roms, von 
der noch die gewaltigen Reste zeugen; als Mahnung und 
Beispiel ragen sie in eine schwächere Gegenwart. Doppelt 
ist dieser Bezug: in Arkadien weisen die Ruinen darauf 
hin, dass auch hier der Tod lauert. Poussin und Guercino 
haben unterschiedliche Aspekte dieser Idee in berühmten 
Bildern gestaltet, in denen Schäfer auf ein Grabmal mit 
der Inschrift «Et in Arcadia ego» stossen. Aus der Per- 
spektive von Kolosseum und Triumphbogen hingegen 
zeigen die Hirten, dass die schlichten, ambitionslosen 
Landleute auch das mächtigste Weltreich überleben. So 
beschwört die Pastorale mit dem Konstantinsbogen die 
beiden grossen Nostalgie-Vorstellungen der Epoche: die 
Grösse der Antike und das geschichtslos natürliche Schäfer- 
leben. Im Aufbrechen der Hirten zur Heimkehr, dem Zug 
der Tiere durch die Furt, dem abendlichen Tanz der Land- 
leute im verklärenden Schein der untergehenden Sonne 
wird die Idee konsequent durchgeführt. 
Die beiden Sehnsuchts-Räume, vergegenwärtigt in der 
Vision der durch ein verklärendes Licht entrückten Cam- 
pagna, bilden den Grundakkord der Kunst Claude Lor- 
rains, doch kaum in einer anderen Komposition bringt er 
sie so explizit, geradezu philosophisch rein zur Geltung 
wie in der Pastorale mit dem Konstantinsbogen. Nun tritt mit 
der Gruppe des Künstlers und des Jägers, der die Ent- 
stehung des Bildes verfolgt, ein weiteres, doppelt reflexi- 
ves Element dazu, das den programmatischen Charakter 
des Werkes erst recht deutlich macht. Der Zeichner vor 
der Landschaft erscheint seit dem 16. Jahrhundert beson- 
ders in topographischer Graphik häufig: er bezeugt, dass 
die Ansicht getreu nach der Natur festhält, was er selbst 
gesehen hat. In diesem Sinne findet sich die Figur auch 
auf zwei frühen Bildern Claudes: 1630 beim Abzeichnen 
antiken Mauerwerkes, 1636 auf einer Vedute des Forum 
Romanum. Doch im vorliegenden Fall ist die Sıtuation 
anders: schon die Differenz zwischen der zeitgenössi- 
schen Kleidung des Malers und seines Begleiters und der 
‘idealen Gewandung der Hirten macht klar, dass es sich 
nicht um die Bezeugung äusserlicher Richtigkeit handeln 
<ann; und dies gilt auch für die antiken Ruinen, deren 
Anordnung und topographische Situation keineswegs der 
Wirklichkeit entspricht - diesbezüglich ist die Komposi- 
tion ein «Capriccio». Hier muss man die beiden in die 
Zeichnung vertieften Männer wohl als Identifikations- 
figuren für den Maler und den Betrachter verstehen: in 
der Auseinandersetzung mit der Natur und der Antike 
erarbeitet sich der Künstler seine Vision von einer inne- 
ren, höheren Wahrheit, der sich der Suchende anvertrau- 
zn kann. 
Als streng logisch darf man diese gemalte Ästhetik der 
idealen Landschaft wohl nicht bezeichnen; dies würde 
auch wenig zu dem schlichten Augenmenschen passen, 
als der Claude in den zeitgenössischen Quellen erscheint. 
Vielleicht hat es mit dem irgendwie bekenntnishaften 
Motiv und seiner auffälligen Verbindung mit den im 
Abendglanz entrückten Hauptmonumenten des alten 
Roms auch noch eine andere Bewandtnis, denn in kaum 
einem anderen reifen Bild erscheinen identifizierbare Rui- 
nen. Das Kolosseum vertritt durch seine gigantische Grös- 
se und einstige Funktion das imperiale, heidnische Rom; 
es ist zugleich der Ort des Martyriums vieler Urchristen: 
nicht von ungefähr erscheint es etwa im Hintergrund von 
Callots Martyrium des Sebastian. Davor steht der Triuumph- 
bogen des ersten christlichen Kaisers; mit ihm trium- 
ohiert nicht nur Konstantin über Maxentius, sondern
	        
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