Full text: Jahresbericht 1996 (1996)

si specchia tutta nuda in una Fonte; il Fonte € nella roc- 
cia, e la roccia si riflette nera, e il cielo azzurro nell’acqua 
profonda; il giorno e la notte nel tempo, la gioia e il dolo- 
re nella vita. Nell’azzurro vi si specchia la bellezza, 
nel’ombra nera l’insidia Vi appiattai, raffigurata in un 
mostro viscido dall’occhio di Bragia.» (Das eingesandte 
Bild stellt die Eitelkeit und die Täuschung dar, die ich in 
einer jungfräulich schamhaften weiblichen Figur studier- 
te, die sich ganz nackt in einer Quelle betrachtet; der 
Quell ist im Felsen, und der Felsen reflektiert schwarz, 
und der Himmel blau im tiefen Wasser; der Tag und die 
Nacht in der Zeit, die Freude und das Leiden im Leben. 
Im Blau spiegelt sich die Schönheit, im schwarzen Schat- 
ten versteckt sich Ihnen die Täuschung, dargestellt in 
einem schlüpfrigen Monster mit glühenden Augen.)’ Die 
Alpenrosen, für Segantini Zeichen ewiger Liebe,” und der 
zauberisch aphrodisiakische Seidelbast deuten gleichfalls 
auf diesen Dualismus, an dem die junge Frau unweiger- 
lich Anteil hat: beide Aspekte gehören notwendig zum 
Fortgang des Lebens. 
Damit steht dieses 1896 konzipierte Gemälde auf der 
Schwelle zum 1895/96 europaweit lancierten Jugendstil; 
die von den Symbolisten so geliebte Szene der Jungfrau 
am abgründig stagnierenden Teich ist aus sumpfig 
modernden Wäldern und düsteren Schlossparks in kri- 
stallin leuchtende Gebirgshöhen versetzt, dekadente Ver- 
strickungen lösen sich in den Auftakt zum «Frühlingser- 
wachen», der Drache böser Lust mutiert zum neckischen 
Gespielen natürlicher Nacktheit und luftiger Leibeslust, 
die in hochalpiner Reinheit fern von viktorianischer 
Schwülstigkeit und ihrer Prüderie erscheint. Dieser als 
ursprünglich schlicht und jugendfrisch, über Zivilisation 
und luftverschmutzte Niederungen erhabene Sehnsuchts- 
Raum ermöglichte Segantini nicht nur die romantischen 
Themen vitalistisch umzudeuten, sondern zugleich die 
vom Stilwollen geforderte Artifizialität mit der ebenso 
gewünschten Natürlichkeit zu einem erstaunlichen stili- 
sierten Naturalismus zu vereinen. 
Die Verschmelzung von Ästhetisierung und Natur- 
beobachtung erreicht hier einen Höhepunkt. Die Plasti- 
zität des jugendlichen Aktes ist aufs äusserste verfeinert 
wie bei Ingres oder Seurat, dessen Kunst Segantini kaum 
gekannt haben dürfte und dem er nirgends so nah 
erscheint wie hier; sie beruht weniger auf der subtil 
abgetönten Modellierung als auf dem rein gespannten 
Umriss. Dieser beschreibt als ganzer eine ornamentale 
Kurve, wie sie ähnlich den florealen Jugendstil überall 
durchdringt: gertenschlank aufwachsend und dann, jede 
Brechung in rascher Krümmung gewagt vermeidend, sich 
der Waagrechten nähernd. In Gewand, Haar und Fels 
sieht man entsprechende Verläufe; auch der Stein vermei- 
det, kristallin spröde und konkav gehöhlt, jede schwel- 
lende Rundung. Erst die in lichtem Gelbgrün und Rosa 
divisionistisch vibrierenden Hügel des Mittelgrundes wöl- 
ben sich, körperhaft schattenlos strahlend in ungreifbar 
vagierender Sinnlichkeit. Die Gliederung der Komposi- 
tion. in waagrechte, bildparallele Streifen, die Betonung 
des Frontalen in Fels und Wald, des Profils in der Frau, 
schliesslich das Fehlen diagonaler Tiefenzüge und der 
Ausschluss des Himmels betonen den ornamental flächi- 
gen Charakter des Bildes. Ähnlich atmosphärelos und mit 
vergleichbarem, aber ironisch gebrochenem Thema hatte 
vier Jahre zuvor Vallotton in unserem Bain d’&t€ die künst- 
lerischen Mittel über das realistisch Glaubwürdige hinaus 
stilisiert. Segantini aber erreicht seine doppelte Intensität 
noch in steter Auseinandersetzung mit der Natur: er kann 
das Gemälde im Herbst 1896 nicht vollenden, weil die 
Wiesen das leuchtende Grün verloren haben; er wandert 
durch das Gebirge, um die seiner Bildidee entsprechende 
Quelle zu suchen, die er in La vita des grossen Tripty- 
chons wieder verwenden wird.” Die Konfrontation mit 
den in Savognin begonnenen und im Engadin vollende- 
ten grossen Alpweiden verdeutlicht im Kunsthaus nun 
auch diese letzte Steigerung seiner Gestaltungskraft. 
Christian Klemm 
Anmerkungen 
La vanitä (La fonte del male) (Die Eitelkeit oder der Quell des Bösen), Öl auf Lein- 
wand 77 x 124 cm, signiert und datiert rechts Mitte «G S Maloja 1897». Über 
die Erwerbung im Austausch und mit einem Beitrag der Schweizerischen 
Bankgesellschaft s. oben S. 8 mit S. 12f. - Herkunft: von Segantini gemäss sei- 
nem Brief vom 27. IV. 1898 (Carteggio no. 668) für «15 mila in oro» in Wien ver- 
kauft, vermutlich direkt an C. Wittgenstein, im Besitz dieser Familie bis 1936 
- Sammlung Vigevano, Mailand - 1971 bis 1973 Galerie Neupert, Zürich - 
1974/75 von Artemis Ltd. London in eine japanische Privatsammlung vermit- 
telt — von dieser durch die Vermittlung von Artemis Ltd. London 1996 erwor- 
ben. — Zu Technik und Zustand s. Paul Pfister in: Von Claude Lorrain bis Gio-
	        
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