SAMMLUNG
Einmal mehr darf mit grosser Dankbarkeit der Eingang
nehrerer ungewöhnlich bedeutender Kunstwerke, die
durch Vermächtnisse und Schenkungen ins Kunsthaus
gelangten, vermeldet werden.
Der bedeutende Schweizer Industrielle Dr. h.c. Walter
Boveri (Baden 1894 - Zürich 1972) vermachte seinen
Kunstbesitz testamentarisch den Kunstmuseen von
Zürich und Basel, wobei er letzterem ein aus der Familie
stammendes kleines Bildnis des Erasmus von Rotterdam
von Hans Holbein zudachte. Die übrigen Gemälde,
iberwiegend anonyme Werke der niederländischen Schu-
‚e des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts, bestimmte
er für das Kunsthaus Zürich, dem er als Mitglied der Ver-
einigung Zürcher Kunstfreunde enger verbunden war.
Herausragend aus diesem Bestand, der den schönen Sitz
iber Herrliberg noch bis zum Ableben seiner Ehefrau
Annemarie zierte, ist eine Beweinung Christi von Jan
Provost, die nun den Höhepunkt in der kleinen Gruppe
altniederländischer Tafeln ım Kunsthaus bildet: als
Frühwerk des um 1465 geborenen Meisters strahlt es wie
kein anderes Bild unserer Sammlung den «naiven» Char-
me der «primitives flamands» des 15. Jahrhunderts aus.
Um den Namen Walter Boveris an qualitativ hochste-
hende Werke zu knüpfen, wurden die übrigen, eher für
andere Sammlungen geeigneten Gegenstände veräussert
und für den Gegenwert Kunstwerke musealen Ranges der
gleichen Epoche erworben. Ein glücklicher Zufall fügte
2s, dass in der Stiftung Prof. Dr. L. Ruzicka ein Flügel-
altärchen mit der Anbetung der Heiligen Drei Könige des
gleichen Jan Provost verfügbar wurde, das zusammen mit
ziner Landschaft Pateniers gleicher Provenienz der gelö-
sten Summe entsprach. Diese drei wertvollen Kunstwerke
bilden eine schöne, in sich stimmige Gruppe und zugleich
quasi die Quintessenz von Walter Boveris Sammler-
geschmack; sie erinnern in würdiger Weise an den gross-
zügigen Stifter, dem wir sehr zu Dank verpflichtet sind.
Durch diesen Tausch konnte die Ruzicka-Stiftung eine
frühe Landschaft von Claude Lorrain erwerben. Die drei
Gemälde des Vermächtnis Walter und Annemarie Boveri
sind als Auftakt der Niederländer-Abteilung zwischen
dem Nelkenmeister-Saal und der Ruzicka-Stiftung der
ständigen Sammlungspräsentation eingefügt.
Damit ist bereits der Meister genannt, dessen Vertre-
tung der Konservator schon lange als oberste Priorität im
Bereich der Alten Meister betrachtete: Claude Lorrain.
Nun verwirklichte sich die mit schönen Träumen spielen-
de Theorie gleich in zwei, sich vortrefflich ergänzenden
Gemälden. Durch den Tausch mit dem Vermächtnis
Boveri und dem Abtreten eines kleinen Gemäldes Jan
Brueghels des Jüngeren, das erst nach dem Tode von Pro-
fessor Leopold Ruzicka ins Kunsthaus kam und ange-
sichts der hervorragenden Werkgruppe Jan Brueghels des
Älteren der Sammlung Koetser nie ausgestellt war, konnte
die Ruzicka-Stiftung die frühe Landschaft mit Wasserfall und
Jägern erwerben. Solches «upgrading», wie die Amerikaner
die qualitative Steigerung durch Verdichtung nennen, hat
Professor Ruzicka in der Stiftungsurkunde ausdrücklich
vorgesehen, da er anfänglich nur zum privaten Vergnügen
im kleinen Stil sammelte, später aber mit viel grösseren
Mitteln Gemälde musealen Ranges erwerben konnte. Er
selbst hat mit dem Verkauf mehrerer spätgotischer Tafeln
und eines Bildes Jan Brueghels den Weg zur Konzentra-
tion auf die Blütezeit der Malerei im 17. Jahrhundert vor-
gezeichnet. Da sich die nicht einfache Finanzierung län-
gere Zeit hinzog, war diese Erwerbung nicht ohne die
aussergewöhnliche Geduld der Verkäufer und eine zins-
lose Zwischenfinanzierung durch den Ernst von Siemens-
Kunstfonds möglich; beiden möchten wir ebenso wie
dem Stiftungsrat der Ruzicka-Stiftung unseren verbind-
lichen Dank aussprechen.
Noch unwahrscheinlicher schien es, je ein repräsenta-
tives Hauptwerk Claudes aus seiner Reifezeit erwerben zu
können. Doch als nun die verschollene erste Fassung von
1648 der berühmten Pastorale mit dem Konstantinsbogen auf-
tauchte, die 1651 im Auftrag des Zürcher Sammlers und
Feldzeugmeisters Johann Georg Werdmüller entstand