von Kunstobjekten, sondern besitzt eine deiktische,
hinweisende Funktion. Sie «begnügt» sich mit dem
unaufdringlichen Hinweisen auf etwas, das schon da
ist, dessen Existenz ohne dieses Hinweisen aber nicht
wahrgenommen worden wäre.
Die Arbeit «Wandzeichnung» von Maria Eichhorn
bestand aus einem visuellen Teil - der Wandzeichnung,
einem akustischen Teil - dem gesprochenen Text, der
sich auf die Wandzeichnung bezieht, sowie einer
wahrnehmenden Person, die diese Beziehung erst her-
stellen muss. Die Wände der beiden Räume des Gra-
phischen Kabinetts wurden geweisst, damit sich die
Zeichnung um so reiner und präziser von diesem neu-
tralen Grund abhebt. Die Wandzeichnung selber wird
determiniert durch die Öffnungen in den Wänden,
d.h. durch die Fugen der geschlossenen Türen und
Wandschränke. Drei Kinder lesen in ihrer jeweiligen
Muttersprache (Deutsch, Französisch und Englisch)
einen Text vor, der ebenfalls in gedruckter Form auf-
liegt. Er macht den Ausstellungsbesucher aufmerk-
sam auf das, was sich hinter den Türschwellen, hinter
den Limiten unserer Wahrnehmung - ausserhalb der
black box — befindet. Wandzeichnung als verbale Wand-
bezeichnunge.
Gary Simmons
Der afroamerikanische Künstler Gary Simmons (*1965)
zeichnet mit weisser Kreide comicsartige Zeichen, die
Kommentare und Denkanstösse zu sozialen Themen
darstellen, auf schiefertafelschwarze Wände. Sie dauern
meistens nur so lange wie die Ausstellung selber. Für die
beiden Räume des Graphischen Kabinetts hat Simmons
Szenen aus Vergnügungsparks und ein starscape ge-
schaffen. Diese Zeichnungen sind gleich nach ihrer
Fertigstellung verwischt worden: der Künstler hat sie in
einer Art nicht-öffentlicher Performance mit seinen
Händen wieder partiell gelöscht —- erasure drawings
nennt er diese Technik. Im Vergleich zum Prototypen
des ausgelöschten Werks, Robert Rauschenbergs hoch-
berühmtem, aber von kaum jemandem je gesehenem
Erased de Kooning drawing, sınd Gary Simmons’ Zeich-
nungen noch —- in Fragmenten wenigstens —- erkenn-
bar. Es geht ihm darum, verzerrte Bildfragmente wie
Erinnerungsfetzen aufscheinen zu lassen und den
Betrachter anzuregen, sie in seiner Vorstellung zu
vervollständigen. Das nostalgische Erinnern ist das
Hauptthema seiner Zürcher Wandzeichnungen — der
Vergnügungspark, das Träumen unter den Stern-
schnuppen. Simmons verbindet sie durch das rhyth-
mische Verwischen mit Bewegung. Er aktualisiert sie,
damit wir in ihre Dynamik hineingezogen werden
und durch Kunstgenuss die berauschenden Nächte
aus unserer Kindheit nachvollziehen — sublimieren -—
können. BF
Pont Alexandre oder Die Altersheiterkeit des Wilfrid Moser.
Pastelle 1993-1997
Es ist durchaus ungewöhnlich, dass ein Künstler, der
vor wenigen Jahren mit einer Retrospektive im grossen
Ausstellungssaal vorgestellt worden ist (und auch
dies nicht zum ersten Mal!), erneut Gelegenheit erhält,
seine seither entstandene Produktion zu zeigen. Im
Falle von Wilfrid Moser hat sich dieses Vorgehen in-
sofern aufgedrängt, als im Laufe der vergangenen vier
Jahre ein Alterswerk herangewachsen ist, das sich in
der erwähnten Überblicksausstellung im damals jüng-
sten Gemälde angekündigt, dem Gesamtwerk jedoch
eine Schaffensphase von zuvor nicht gekannter be-
freiter und befreiender Leichtigkeit zugefügt hat. Der
gleichermassen zarte wie kräftige Duktus des Farb-
auftrags, die vibrierende Transparenz dieser späten Öl-
kreidezeichnungen, einer Art zeitgenössischer Capricci,
hat begeisterte Aufnahme gefunden; beinahe alle der
vom Künstler zum Verkauf freigegebenen Werke haben
ainen neuen Besitzer gefunden. Dass der Künstler noch
während der Dauer der Ausstellung überraschend
gestorben ist, hat nicht nur in seiner Familie und sei-
nem grossen Freundeskreis Bestürzung hervorgerufen —
die Ausstellung wurde gleichsam zu seinem Testa-
ment, in dem zwar einige ahnungsvolle (?) düstere
Klänge nicht zu übersehen waren, das indessen gesamt-
aaft betrachtet ein von abgeklärter Altersweisheit ge-
prägtes Bekenntnis zu Toleranz und Schaffenslust be-
inhaltete. FR