Full text: Jahresbericht 1997 (1997)

SAMMLUNG 
Nach den schon mehr als sieben fetten Jahren, die bis 
1996 die Sammlung in unerwarteter und grossartiger 
Weise bereichert haben, erwarteten wir eigentlich ein 
mageres Jahr. Die Gelder des Lotteriefonds und die Be- 
mühungen um Spenden gelten weiterhin ganz der Reno- 
vation der Villa Tobler, und selbst unser ordentlicher, seit 
1976 unveränderter Ankaufskredit wurde kaum angegrif- 
fen, da sich gewisse Projekte verzögerten und die Ziel- 
richtung des weiteren Ausbaus der Sammlung gegen- 
wärtig ın der Sammlungskommission diskutiert werden. 
Aber nun sehen wir, dass doch mehrere sehr bedeutende 
Kunstwerke dank der Grosszügigkeit von Gönnern 
ihre dauernde Bleibe im Kunsthaus gefunden haben - 
Werke überdies, die z.T. schon so lange als Leihgaben 
hier waren, dass nicht wenige Leute sie schon früher für 
Zürcher Besitz hielten. 
Dies gilt insbesondere für die einzigartige polychrome 
Marmorskulptur von Carl Burckhardt im Böcklin-Saal, 
die monumentale «Venus», die bereits auf den Photogra- 
phien der Eröffnungsausstellung 1910 an dieser Stelle - 
allerdings um 90 Grad gedreht —- zu sehen ist. In einer 
mäzenatischen Tat erwarb damals Dr. med. Theodor Die- 
terle die soeben vollendete Figur, an der sein ehemaliger 
Schulfreund seit fünf Jahren gearbeitet hatte - zeitweise 
parallel zu den Entwürfen für die Metopen an der Fas- 
sade des Kunsthauses. Später stand sie in dem Oktogon 
des barocken Gartenpavillons des Stockar-Gutes unter- 
halb der Universität und kehrte 1967 in den Kuppelsaal 
mit den Gemälden Böcklins zurück. Die Skulptur er- 
scheint wie für den Raum geschaffen und dieser bietet 
ihr den vollendeten Rahmen - ein Gesamtkunstwerk 
a posteriori, in dem auch die Bilder des grossen Basler 
Malers ideal zur Geltung kommen. Nun konnte die Karl 
und Sophie Binding-Stiftung sie von der Familie Die- 
terle übernehmen und als Dauerleihgabe dem Kunst- 
haus sichern. 
Gleichzeitig gelangte das Hauptwerk des wichtigsten 
Basler Bildhauers der nächsten Generation in den Besitz 
der Vereinigung Zürcher Kunstfreunde: die «Totenklage» 
Hermann Scherers, der noch als Steinhauer bei Burck- 
hardt gearbeitet hatte. Sie war 1989 mit der Ausstellung 
seiner Holzplastiken in das Kunsthaus gekommen und 
blieb als Leihgabe des Neffen hier, nachdem dieser 
schon zuvor ein anderes wichtiges Werk, die «Über- 
lebenden», mehrere Jahre zur Verfügung gestellt hatte. 
Man darf sie getrost zu den eindrücklichsten Skulpturen 
des europäischen Expressionismus zählen. Strenger und 
professioneller als die vereinzelten Holzarbeiten seines 
grossen Anregers und Mentors Kirchner erinnert die 
zwingende Figuration der drei Menschen in ihrer aus- 
drucksmächtigen Vereinfachung der Formen und der 
spannungsvollen Bemalung ebenso an mittelalterliche 
Andachtsbilder wie an afrikanische Skulpturen. In der 
repräsentativen Sammlung der Plastik des 20. Jahr- 
hunderts im Kunsthaus, in der die meisten wichtigen 
Strömungen und Meister vertreten sind, füllt sie die 
wohl gravierendste Lücke; zwischen den Meister- 
gemälden Kokoschkas hat sie ihren angemessenen Platz 
gefunden. 
Als Schenkung aus der Familie Dr. Hugo Cassirer 
bleibt ein sehr besonderes, spätes Bildnis von Edouard 
Manet im Kunsthaus: das Portrait des Kunstkritikers 
Albert Wolff. Ein Vorgeschmack auf die ursprüngliche 
Pracht der präzis virtuosen Malerei und der subtilen 
kühlen Töne konnte die Reinigungsprobe in unserer 
Ausstellung über Restaurierungsprobleme vor einem
	        
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