SAMMLUNG
Nach den schon mehr als sieben fetten Jahren, die bis
1996 die Sammlung in unerwarteter und grossartiger
Weise bereichert haben, erwarteten wir eigentlich ein
mageres Jahr. Die Gelder des Lotteriefonds und die Be-
mühungen um Spenden gelten weiterhin ganz der Reno-
vation der Villa Tobler, und selbst unser ordentlicher, seit
1976 unveränderter Ankaufskredit wurde kaum angegrif-
fen, da sich gewisse Projekte verzögerten und die Ziel-
richtung des weiteren Ausbaus der Sammlung gegen-
wärtig ın der Sammlungskommission diskutiert werden.
Aber nun sehen wir, dass doch mehrere sehr bedeutende
Kunstwerke dank der Grosszügigkeit von Gönnern
ihre dauernde Bleibe im Kunsthaus gefunden haben -
Werke überdies, die z.T. schon so lange als Leihgaben
hier waren, dass nicht wenige Leute sie schon früher für
Zürcher Besitz hielten.
Dies gilt insbesondere für die einzigartige polychrome
Marmorskulptur von Carl Burckhardt im Böcklin-Saal,
die monumentale «Venus», die bereits auf den Photogra-
phien der Eröffnungsausstellung 1910 an dieser Stelle -
allerdings um 90 Grad gedreht —- zu sehen ist. In einer
mäzenatischen Tat erwarb damals Dr. med. Theodor Die-
terle die soeben vollendete Figur, an der sein ehemaliger
Schulfreund seit fünf Jahren gearbeitet hatte - zeitweise
parallel zu den Entwürfen für die Metopen an der Fas-
sade des Kunsthauses. Später stand sie in dem Oktogon
des barocken Gartenpavillons des Stockar-Gutes unter-
halb der Universität und kehrte 1967 in den Kuppelsaal
mit den Gemälden Böcklins zurück. Die Skulptur er-
scheint wie für den Raum geschaffen und dieser bietet
ihr den vollendeten Rahmen - ein Gesamtkunstwerk
a posteriori, in dem auch die Bilder des grossen Basler
Malers ideal zur Geltung kommen. Nun konnte die Karl
und Sophie Binding-Stiftung sie von der Familie Die-
terle übernehmen und als Dauerleihgabe dem Kunst-
haus sichern.
Gleichzeitig gelangte das Hauptwerk des wichtigsten
Basler Bildhauers der nächsten Generation in den Besitz
der Vereinigung Zürcher Kunstfreunde: die «Totenklage»
Hermann Scherers, der noch als Steinhauer bei Burck-
hardt gearbeitet hatte. Sie war 1989 mit der Ausstellung
seiner Holzplastiken in das Kunsthaus gekommen und
blieb als Leihgabe des Neffen hier, nachdem dieser
schon zuvor ein anderes wichtiges Werk, die «Über-
lebenden», mehrere Jahre zur Verfügung gestellt hatte.
Man darf sie getrost zu den eindrücklichsten Skulpturen
des europäischen Expressionismus zählen. Strenger und
professioneller als die vereinzelten Holzarbeiten seines
grossen Anregers und Mentors Kirchner erinnert die
zwingende Figuration der drei Menschen in ihrer aus-
drucksmächtigen Vereinfachung der Formen und der
spannungsvollen Bemalung ebenso an mittelalterliche
Andachtsbilder wie an afrikanische Skulpturen. In der
repräsentativen Sammlung der Plastik des 20. Jahr-
hunderts im Kunsthaus, in der die meisten wichtigen
Strömungen und Meister vertreten sind, füllt sie die
wohl gravierendste Lücke; zwischen den Meister-
gemälden Kokoschkas hat sie ihren angemessenen Platz
gefunden.
Als Schenkung aus der Familie Dr. Hugo Cassirer
bleibt ein sehr besonderes, spätes Bildnis von Edouard
Manet im Kunsthaus: das Portrait des Kunstkritikers
Albert Wolff. Ein Vorgeschmack auf die ursprüngliche
Pracht der präzis virtuosen Malerei und der subtilen
kühlen Töne konnte die Reinigungsprobe in unserer
Ausstellung über Restaurierungsprobleme vor einem