konnte davon hier keine Rede sein. Man kannte sich,
«des relations de boulevard qui avaient les apparences
de la cordialit&» (Tabarant), man titulierte sich «cher
Wolff» — «cher Manet», aber Wolffs Kritiken im Figaro
vermischten «geistreich» zweideutig Positives über die
Begabung mit meist ziemlich vernichtenden Bemerkun-
gen über die Ausführung und die ausgestellten Werke,
während Manet gegenüber seinen Freunden seiner Ver-
achtung Wolffs freien Lauf liess.
Trotzdem bemühte sich der Maler 1877, den einfluss-
reichen Journalisten für die Sache der modernen Kunst
zu gewinnen. Am 19. April schrieb er ihm einen kurzen
Brief, in dem er ihm eine Ausstellung der Impressio-
nisten und die anschliessende Versteigerung empfahl:
«... Vielleicht lieben Sie diese Malerei noch nicht, doch
Sie werden sie lieben. Unterdessen wäre es sehr liebens-
würdig von Ihnen, wenn sie im «Figaro» ein wenig dar-
über sprechen wollten. ...» Stattdessen schrieb Wolff im
Mai über das Portrait von Faure als Hamlet, das der
Tenor übrigens refüsierte und sich stattdessen von Bol-
dini portraitieren liess, dass die Administration des
Salons Manet mit der schlechten Hängung einen Dienst
erwiesen habe: auf Distanz würde das Bild noch etwas
Effekt machen, aus der Nähe besehen, müsste man dem
Künstler vorwerfen, er male wie ein Dekorateur. Seine
Originalität sei zwar sehr umstritten, aber sehr kraftvoll;
nun aber scheine er über seine Kunst unsicher zu
werden.
Im Sommer schlug Manet dem Kritiker vor, ein
Bildnis von ihm zu malen. Die Portraitsitzungen be-
gannen, und, wie Theodore Duret bemerkte, Wolff hätte
mit dem Bild eigentlich sehr zufrieden sein sollen, denn
es erhöhte seine allgemein bekannte Hässlichkeit zu
etwas Stilvollem, Poetischem. Nachdem es soweit ge-
diehen, wie wir es heute kennen, schrieb ihm Manet, er
möge das nächste Mal sein blaues Veston mit Samtrevers
und kastanienbraune Hosen anziehen; das würde einen
heiteren Ton geben. Es sind Farben, die Manet damals
besonders liebte, und man kann sich gut vorstellen, wie
sehr das Gemälde an Attraktivität gewonnen hätte - man
müsste es heute wohl in einem amerikanischen Museum
bewundern. Seit Paul Pfister aber den späteren Firnis
entfernt und die Differenzierung zwischen den silbrig
kühlen Tönen des schwarzen Anzuges und den bräun-
lichen Farben des Hintergrundes wieder zum Vorschein
brachte, dürfte mancher Kenner gerade diese subtile
Harmonie dem bunten Effekt vorziehen. Dass sie er-
halten blieb, verdankt man Wolff, der auf Manets Bitte
mit folgendem Billet antwortete: «Mon cher Manet,
Cette abominable chaleur m’a flanque une migraine
atroce. Il m’est tout a fait impossible de poser. Remet-
tons la fete a mardi. Bien a vous...». Dienstag kam, doch
Wolff blieb weg.
Mit dem Abbruch der Portraitsitzungen hatte sich
Wolff noch ein weiteres Verdienst erworben: für den
modernen Geschmack ist gerade der skizzenhafte, un-
fertige Zustand des Gemäldes besonders reizvoll. Der
Ausführungsgrad des Gesichtes lässt nichts zu wünschen
übrig; alles ist hinreichend definiert und lässt die Züge
doch atmen; im Bereich der Büste sind die Hauptlinien
mit Grosszügigkeit und Sicherheit hingesetzt; die
lockeren Partien bei den Händen lassen an Frans Hals
denken und evozieren die spontane Lebendigkeit, die so
vielen totgemalten Bildern jener Zeit abgeht. In seiner
nächsten Behandlung von Gemälden Manets am Salon
hob Wolff gerade diese Fähigkeit als das Besondere an
dessen Temperament hervor: «Le premier jet de son
xuvre est toujours d’une justesse surprenante.» Offen-
sichtlich profitierte er hier von seinen Einsichten im
Atelier und liess immerhin ein geschärftes ästhetisches
Urteilsvermögen erkennen. Denn die übliche Kritik
wollte in solchen freien Pinselzügen nur ein wirres
Gekritzel oder Geschmier sehen und vermisste lautstark
Zeichnung und Modellierung. Wolff hingegen wirft
Manet nun originellerweise gerade das Gegenteil vor:
er mache mit der weiter getriebenen Ausführung in
seinen grossen Kompositionen Konzessionen an den
Geschmack der Jury des Salons. Der naive Betrachter
könnte meinen, diese Bilder wären in einer Stunde hin-
geworfen, vielmehr seien sie in langwieriger Arbeit, die
Manet durchaus nicht liege, entstanden.
Damit wird ein interessanter Aspekt angesprochen,
den die Künstler seit der Ausbildung der «modernite»
viel beschäftigte. «Il faut &tre de son temps» führt in
letzter Konsequenz zur Forderung nach dem spontanen
Erfassen des Augenblickes, dem Erhaschen der Leben-