Nun galt es für ihn, diese Faillite wieder gutzuma-
chen. Nach der Heirat mit seiner langjährigen Freundin,
der Malerin Sophie Hipp, 1905, konnte er das Atelier-
haus des verstorbenen Bildhauers Heer in Arlesheim
übernehmen. Er begann erneut an ein grosses drei-
dimensionales Werk zu denken. Vorerst beschäftigte er
sich allerdings mit Bildentwürfen, Skizzen, die sich auch
zu Reliefs weiterentwickeln mochten: Amazonen-Sze-
nen, «Odysseus und die Sphinx», «Acis und Galathea»,
«Herkules am Scheideweg», gedacht als grossformatige
Wandbilder. Aus einer Komposition mit drei Aktfiguren,
Herkules und zwei Frauengestalten, löste sich langsam
die Einzelfigur einer Schreitenden heraus —- die Idee der
«Venus» nahm Gestalt an.
Das Werk sollte den Künstler von Anbeginn bis zu
seiner Vollendung, von 1905 bis 1910, von einer Schwie-
rigkeit zur nächsten führen. Und dann folgten Kämpfe
um den Burckhardt vorschwebenden, idealen Aufstel-
lungsort, die ihn bis zu seinem Tod 1923 in Ligornetto
verfolgen sollten - ebenso wie den Besitzer, Dr. Th. Die-
terle, der die Statue aus Begeisterung und um den Künst-
ler vor dem finanziellen Ruin zu retten, grossmütig er-
worben hatte. Beide hofften noch jahrelang, dass das
Werk an der vom Künstler vorgesehenen Stelle im
Böcklin-Saal der Basler Kunstsammlung seinen Standort
finde. Die Kunstsammlung war damals ım obersten
Geschoss des Museumsgebäudes an der Augustinergasse
untergebracht. Der Besitzer hätte sie als Depositum zur
Verfügung gestellt. Doch nichts dergleichen geschah —
die Vorzeichen standen von Anfang an schlecht. Es lohnt
sich vielleicht, anhand von Burckhardts Aufzeichnun-
gen, wie wir sie verstreut in den von seinem Sohn Titus
herausgegebenen Briefen und Aufzeichnungen finden,
der Entstehungsgeschichte und dem Schicksal der
«Venus» nachzugehen. Es spiegelt sich darin beispielhaft
der grausame und grimmige Kampf, den viele Bildhauer
zu bestehen haben, wenn sie sich einem gross angelegten
Werk verschreiben. Ein Karl Geiser ist daran zerbrochen.
Burckhardts Selbstzeugnisse machen deutlich, wie wich-
tig für ihn die Verwirklichung und das Schicksal seiner
Venusfigur war.
Die Schwierigkeiten im Arlesheimer Atelier begannen
bereits mit der Modellfrage. Die Gattin des Künstlers
entsprach mit ihrer fragilen, schlanken Figur diesmal
nicht den Vorstellungen. Ein «ordinäres» Frauenzimmer
- und andere stellten sich damals in Basel nicht als Akt-
modelle zur Verfügung - kam für Burckhardt nicht in
Frage. Geist und Gehabe des Modells mussten für ihn
in Übereinstimmung stehen mit Geist und Gestalt des
Werkes. Da stellte sich eine mit den Burckhardts be-
freundete Dame, eine aus dem Ausland stammende
Professorengattin, zur Verfügung. Es schien der unbefan-
genen, herzlichen Frau die selbstverständlichste Sache
der Welt, dem Künstler behilflich zu sein - war sie doch
mit beiden, mit Carl wie mit Sophie Burckhardt, glei-
chermassen befreundet. Doch dieses Vorbild sollte der
«Venus» Burckhardts wenige Jahre später zum Verhäng-
nis werden. Denn selbstverständlich vermischte man in
der Ablehnung der Skulptur persönliche Ressentiments
nit künstlerischen Fragen.
Immerhin — Burckhardt ging mit Freude und Zuver-
sicht an sein Tonmodell. Ende September 1907 schrieb
er einem Freund: «Mein Gipsguss ist fertig und gut
geraten ...». Von Anfang an hatte er sich die Figur ın
Marmor ausgeführt vorgestellt; nun konnte er ın Italien,
in Forte dei Marmi, an die Auswahl und Zusammen-
stellung geeigneter Steine gehen. Die Polychromie der
Gestalt verlangte weissen und farbigen Marmor.
Im Oktober 1907 schrieb Burckhardt seiner Frau nach
Arlesheim: «Wegen dem Marmor und den Marmorarbei-
tern muss ich mich wieder fast ganz auf mich verlassen.
Ich habe das ja gewusst. Die drei letzten Tage suchte ich
Marmor, d.h. erst die Proben von den in Frage kom-
menden Blöcken. Hellen Marmor gibt es hier wirklich in
Unmass - doch einen schönen farbigen gibt es kaum in
[talien. Ich war gestern in Livorno, wo Schiffe aus Grie-
chenland farbigen Marmor gebracht haben. ... Gestern
war ich bei so viel Händlern, dass mir noch jetzt der
Kopf schwirrt vor farbigen Steinen.» Burckhardt war
äusserst heikel im Auffinden der passenden Farbe für das
Gewand und die Haare der Figur.
Im November 1907 - Frau Burckhardt war inzwischen
nach Forte übersiedelt - berichtet Carl seinem Bruder
Paul nach Basel: «Von der Statue mag ich Dir noch
nichts melden, aber die Banausenhände, denen sie aus-
zeliefert ist. sind furchtbar. Eine offene Bude voller zer-