zu bearbeiten.» Doch der nächste Dämpfer, und dazu ein
von ihm selbst verursachter, lässt nicht auf sich warten:
Burckhardt hat den Kopf zu tief punktiert und jetzt
sucht er unter tausend Selbstverwünschungen, das Miss-
geschick auszubügeln und den Fehler auszugleichen. Er
schreibt danach seiner Frau: «... Erschrick nicht, wir sind
nicht weit vom Ziel, wenn auch die letzte, ewige Schön-
heit erst in einem nächsten Werk von mir sein kann; ich
kann sie - aber Zeit und Geld und Ruhe!» An allem fehlt
25 Burckhardt.
Endlich ist die Statue vollendet. Sie wird, bereit zur
Ausstellung, nach Basel verfrachtet. Burckhardt hat in-
zwischen auch den Wettbewerb für die Metopen am
Zürcher Kunsthaus gewonnen und den Auftrag für die
Amazonenreliefs erhalten; er übersiedelt nach Zürich.
Zur Aufstellung der «Venus» in der Kunsthalle kommt
ar selbstverständlich nach Basel. Am 7. Februar 1910 be-
richtet er seiner Frau nach Zürich: «Seit elf Uhr ist die
Statue ganz aufgesetzt im untern Saal und ich bin selber
ganz erschrocken, dass die an und für sich nichtssagen-
den Stücke aufeinandergestellt etwas Lebendiges ergaben.
Die Arbeiter, sechs an der Zahl, traten alle zurück und
sprachen nur noch leise. ... Der Präsident [der Kunstver-
sinskommission], der heute nachmittag kam, sagte vor
der Statue mit entblösstem Haupt: «Das ist für uns ein
Ereignis... In somma: wir sind überm Berg - absolut!»
Dem war nicht so. Ende Februar kam die Nachricht
zu Burckhardt nach Zürich, dass ein aufgeblasener
Kritiker ein höchst abschätziges Urteil in der Zeitung
veröffentlicht hatte. Neid und Intrigen begannen zu
spielen. Kunstkommission - zuständig für das Kunst-
nuseum - und die Kunstvereinskommission lehnten
einen Ankauf für ihre Sammlungen ab. Für Burckhardt
brach eine grosse Hoffnung zusammen. Der Gatte des
2instigen Modells hatte es verstanden, in professoraler
moralischer Entrüstung Widerstände aufzuwiegeln -
obwohl nicht mehr die geringste Ähnlichkeit zwischen
Modell und ausgeführter Marmorstatue bestand.
Freunde und Kollegen hielten zu Künstler und Werk —-
aber das half nichts gegen Kommissions-Mehrheiten. Da
meldete sich Dr. med. Theodor Dieterle aus Zürich; er
erwarb unter Aufbietung aller seiner Mittel das Werk und
bot es zur Eröffnung des neuen Kunsthauses in Zürich
als Depositum an. Dort wurde es im Kuppelsaal des
ersten Obergeschosses aufgestellt.
Doch dem ersten Transport über den Bözberg folgte
ein zweiter und ein dritter. Burckhardts Briefe von 1920
(von Titus Burckhardt irrtümlich 1910 datiert) berichten
darüber. Sowohl der Künstler wie der Eigentümer moch-
ten den Gedanken an eine Aufstellung im Basler Böck-
lin-Saal nicht aufgeben; dies schien ihnen der einzig
richtige Standort zu sein. So kam die Statue noch einmal
über den Bözberg nach Basel zurück, wurde unterwegs
vom scheuenden Ross einer Holzfuhre gerammt und auf
die Strasse geschleudert, kam aber glücklicherweise mit
kleinen Schäden davon - nur ein Fuss musste neu
gemacht werden.
Burckhardt und Dieterle waren begeistert von deı
Aufstellung. Nicht so die Kunstkommission. Burckhardt
schreibt seiner Frau aus Basel nach Ligornetto, wo die
Familie jetzt wohnte: «Es kam heraus, dass man meine
Statue mit allen Mitteln aus dem Museum heraushaben
will. ... Nun hat der Professor Sch. entdeckt, dass Risse
in der Decke unterhalb der Venusstatue sind, und dass
eine Katastrophe befürchtet werden muss, wenn sie nicht
sofort wegkommt!» Man verbrachte das Werk sogleich
in ein Seitenkabinett bis zu seinem definitiven Abtrans-
port nach Zürich. Dort mietete der Besitzer den Garten-
pavillon des Stockargutes. Und dort verblieb sie, bis det
inzwischen an einen Sohn von Dr. Dieterle übergegan:
gene Mietvertrag aufgelöst werden musste. Damals fand
das Werk im Kunsthaus Zürich jenen Standort, den es
noch heute inne hat und nun dank dem Erwerb für die
Sammlung dauernd behalten darf. Der Kuppelsaal Kar!
Mosers, inzwischen zum grossartigen Zürcher Böcklin:
Saal geworden, ist der denkbar beste Ort: hier stimmer
die Architektur des Raumes, die Gemälde an der Wanc
und das Bildwerk in vollendeter Harmonie überein.
Wo aber liegen die entscheidenden Gründe für die
einem hartnäckigen Stellungskrieg zu vergleichende
Leidensgeschichte der «Venus», einem Stellungskrieg,
der erst dank der Binding-Stiftung, beinah neun Jahr
zehnte nach Vollendung des Werks, abgeschlossen wer
den konnte? Zweifellos nicht nur in der einstmals mir
selbstgefälligem Moralgehabe aufgebauschten Modell-