zen von Holzfiguren direkt aus dem Stamm ein. Eine
erste Plastik knüpft eng an ein Werk des Meisters an und
zeigt noch gewisse Unsicherheiten, aber schon in der
zweiten Skulptur beherrschte Scherer das neue Medium
überraschend souverän. An seinen engsten Freund und
künstlerischen Mitstreiter Albert Müller schreibt er:
«Diese Art zu arbeiten verdanke ich Kirchner, er hat
mich auf diese Dinge gebracht, sozusagen verschüttete
Brunnen aufgedeckt.» Und diese Quelle begann nun
in einem erstaunlichen Masse zu sprudeln: in den zwei-
einhalb Jahren bis zum Ausbruch der tödlichen Krank-
heit 1926 entstanden neben vielen Zeichnungen, etlichen
Holzschnitten und den meisten Gemälden die zwei Dut-
zend Skulpturen, die den Kern seines Werkes bilden.
Dieser kreative Ausbruch deutet darauf hin, dass hier
Aussagen und Gestalten zum Ausdruck drängten, die
bisher noch keine angemessene Formensprache gefun-
den hatten. Genau dies brachte Scherer die Begegnung
mit Kirchner und dessen Skulpturen. Ohne Zweifel
schuf dieser von den expressionistischen Malern das
bedeutendste plastische Werk, das leider nur sehr frag-
mentarisch erhalten blieb. In der 1905 in Dresden ge-
gründeten Künstlergruppe «Die Brücke» begann Erich
Heckel noch im gleichen Jahr aus dem Holz zu
schnitzen, bald gefolgt von Schmidt-Rottluff, Pechstein
und Kirchner. Auf der Suche nach dem Ursprünglichen
und Ausdrucksmächtigen, nach «Urlauten plastischer
Gestaltung und seelischen Ausdrucks» (Sauerlandt) in-
spirierten sie sich an spätgotischer Plastik, an der Kunst
Afrikas und Ozeaniens, während alles Naturalistische
und auf der griechischen Klassik fussende Ideale radikal
verworfen wurde. Diesen weitgespannten Quellen und
dem unkonventionellen, von professionell erarbeiteten
plastischen Vorstellungen unbeschwerten Charakter von
Maler-Plastik entsprechend zeichnet eine experimentelle
Uneinheitlichkeit sowohl die meisten Einzelwerke wie
die Produktion als Ganzes aus. Erst die Begegnung mit
den indischen Ajanta-Fresken führte Kirchner um 1911
zu einer blühend schwellenden Körperlichkeit und einer
grösseren Anzahl künstlerisch gelöster Figuren. Mit dem
Krieg bricht diese Phase ab; nach der Niederlassung
in Davos 1918 tritt die Ausgestaltung des Hauses mit
geschnitzten Architekturteilen und Möbeln ganz in
den Vordergrund; an ihr wird sich auch noch Scherer
beteiligen. Erst 1923, unmittelbar vor der Begegnung mit
Scherer, scheint er sich wieder der Freiplastik zugewandt
zu haben; entsprechend seiner allgemeinen künstleri-
schen Entwicklung und der Begegnung mit der alpinen
Volkskunst sind die Gestalten nun grossformiger,
schlichter und ausdruckskräftiger geworden. Auffällig ist
eine neue Vorliebe für Zweifigurengruppen: Liebespaare,
Mutter und Kind, und als grösstes Werk «Die Freunde»:
Hermann Scherer und Albert Müller.
So wie sich Kirchner merkwürdigerweise Scherer ent-
gegen zu entwickeln scheint, zeichnet sich auch in dem
letzten bekannten Werk Scherers vor der entscheidenden
Begegnung eine stilistische Annäherung ab: ein Sand-
steinrelief mit einem schreckenden Pferd, das zu einem
nicht realisierten Projekt eines vielteiligen Fassaden-
dekors, der einzigen plastischen Arbeit von 1923, gehört,
weist bereits die grossformig geschlossenen und gerun-
deten Körperformen, die Ansätze zu der kubistoid aus-
drucksstark gebrochenen Gesichtsbildung auf. Wir sind
zu wenig genau über die Begegnungen und die Abfolge
der Werke dieses Jahres orientiert, um bereits hier einen
schöpferischen Austausch feststellen zu können. Doch
scheint Scherers Interesse damals ganz von der Malerei
gefesselt worden zu sein. Als er aber Anfang 1924 die Ar-
beit am Holz aufnimmt und im Frühjahr und Sommer
bereits eine ganze Reihe meisterhafter Skulpturen ent-
stehen, ist die plastische Gestaltung von einer fraglosen
Sicherheit, die nach dem Höhepunkt von Fülle und for-
maler Bewusstheit in «Mann und Weib» und «Mutter und
Kind» bereits Züge von Routine anzunehmen droht.
Was sich Kirchner in der Auseinandersetzung mit zahl-
reichen Vorbildern und künstlerischen Möglichkeiten
über Jahre erarbeitet hatte, eignet sich der Schüler mit
dem Können des professionellen Bildhauers in Kürze
an. Dies wird mit ein Grund für Kirchners Distanzierung
von Scherer schon im nächsten Frühjahr gewesen sein.
Das Arbeiten mit Messer und Beil direkt in das Holz
entsprach Scherer sicher besonders: seine letztlich bäu-
rische Direktheit konnte sich hier in einen dem Material
entsprechenden Ausdruckswert umsetzen. Noch wich-
tiger war die künstlerische Disziplinierung und Öko-
nomie, zu der ihn der enge Umriss des Stammes zwang: