LOTHAR BAUMGARTEN
«VOM AROMA DER NAMEN», 1985
Die mit der Arbeit «Vom Aroma der Namen», sechs far-
bige Siebdrucke, von Lothar Baumgarten verbundenen
biographischen Anekdoten* sollen uns hier nicht inter-
essieren. Was einzig zählt, ist die «einmalige (?!) Erschei-
nung» der Drucke.
Das Auge wird zuallererst durch die leuchtenden
Farben der Schrift angezogen, will in einer Reflexbewe-
gung die schriftliche Nachricht entziffern. Das Parkett,
d.h. sechsmal derselbe Ausschnitt aus einem Parkett,
wird bloss als Hintergrund wahrgenommen. Das Fisch-
gratparkett aus im rechten Winkel diagonal aufeinander-
treffenden Stäben ist auch im Bild diagonal angeordnet.
Die Schrift folgt diesem Grundraster, indem sie sich ihm
kreuzweise oder rautenförmig ein«schreibt» und so ge-
wissermassen eine «virtuelle Intarsie» bildet. Die sechs
Blätter werden normalerweise an der Wand präsentiert
(ihr recht grosses Format verbietet das intime Blättern in
einer Graphikmappe). Der photographierte Boden kippt
auf diese Weise von der horizontalen in die senkrechte
Ebene - womit die natürliche Bezugsachse des Baums
wiederhergestellt wäre. Der Boden wird zum Bild, das
Parkett verweist auf den Baum, der Bildträger (das
Papier) erinnert an die Substanz, aus der er gemacht ist —
Holz. Darüber hinaus beziehen sich die meisten serigra-
phierten Wörter auf (für uns exotische) Baumnamen.
Das semantische Feld ist auf allen Ebenen gut umrissen.
Trotzdem schliesst sich kein (logischer) Kreis. Vieles
bleibt unfassbar, unfassbar wie ein Duft, wie das Aroma
der Namen.
Der Grossteil der auf die Parkettfragmente gedruckten
Namen entzieht sich unserem Wissen. Allein die Be-
zeichnungen auf einem einzigen Blatt, ursprünglich
aus Südamerika importierte Pflanzen / Lebensmittel (wie
Kaffee, Tabak, Mais, Vanille...), gehören zu unserem all-
täglichen Vokabular. Daraus kann man aber weder auf
irgendeine Taxinomie noch auf eine übergeordnete
Systematik schliessen. So wie die Stäbe ım Parkett aus-
causchbar sind, so erscheint uns auch die Reihenfolge
der Blätter beliebig. Kurz: Das von Lothar Baumgarten
herausgegebene botanische Lexikon ist ein weitgehend
anlesbares Buch. Es führt uns aber sehr deutlich unsere
Schwächen vor Augen: Zum einen die Unzulänglichkeit
unseres phonetischen Systems, unbekannte Laute zu er-
fassen und sie in unsere Schriftsprache zu übertragen;
zum anderen die Insuffizienz unserer Wissenskategorien
für das Erfassen «fremder» Elemente - der Künstler spielt
die Reichhaltigkeit der «exotischen» Baum- und Pflanzen-
sorten gegen die Monotonie des sechsmal identischen
«zivilisierten» Parketts aus. Damit verweist Lothar Baum-
garten nicht zuletzt auf die Limiten unseres Herrschafts-
anspruchs: Die bewährte Taktik des Benennens als sym-
bolisches Besitzergreifen scheitert kläglich (wie soll man
dem, was man nicht kennt, einen Namen geben?), ja, die
Schrift als Wissens- und Machtinstrument kehrt sich
gegen seinen Inhaber um und stempelt ihn zum An-
alphabeten (d.h. zum Unwissenden, zum Ohnmächti-
gen). All die Namen ohne Signifikat und die Unmög-
lichkeit, das Bild dieser anderen Welt zu rekonstruieren,
werfen uns aber auch auf das einzige Konkrete zurück:
die farbige Präsenz der Worte, das Aroma der Namen -
und eröffnen uns somit höchst wertvolle Bereiche, die
da heissen: Poesie und Utopie.
BE
* John T. Paoletti, «Lothar Baumgarten: Myths in Prints», in The Print
Sollector’s Newsletter vol. XIX, N° 5, Nov./Dez. 1988, S.179f.: «In
Baumgarten’s Von (sic) Aroma der Namen, a print of six units from
1985, the same clear and distinct photographic image of a section of
the parquet floor in Baumgarten’s Düsseldorf studio appears in each
of the six sheets. (...) the studio was once used by Joseph Beuys, (...)
Beuys actually laid the parquet floor, (...) hidden under one of the
rectangular pieces of wood is a red feather Baumgarten brought back
om his stav in the upper reaches of the Orinoco River...»