zwischen Himmel und Abgrund; und auch hier unter-
streicht die extreme Situation das Urzeitliche, Gewaltige,
Unkultivierte des Geschehens. Die Wucht des Kon-
trastes presst die Felsen und Figuren samt dem Adler
nach vorn; vom Rand überschnitten, breitet sich das
geometrische Gefüge ihrer Glieder wie ein Spinnetz über
die Bildfläche.
Archaisch urtümlich wirkt auch das Kampfge-
schehen. Der stärkste Held, der gewaltige Herakles,
erscheint als Mensch pygmäenhaft klein neben dem
gefesselten Titanen, und der von Zeus geschickte Adler
ist im Massstab nochmals eine Stufe gigantischer. Ja, es
erscheint durchaus fraglich, ob die menschlich kleinen
Pfeilchen dem Riesenvogel überhaupt Eindruck machen
werden, vielmehr droht dieser mit seinen bildspren-
genden schwarzen Schwingen das Männchen vom Fels
in den Abgrund zu schlagen. Man fühlt sich an den
Vogel Rok aus Tausend und eine Nacht oder gar an Der
letzte Ritter von Heimito von Doderer erinnert, der auf
der Suche nach dem Drachen plötzlich realisiert, dass
dieser nichts weniger als das ganze Gebirge ist, über das
er reitet; Böcklins einen ganzen Bergrücken einneh-
mender Prometheus mag die Zwischenstufe gebildet
haben. Die Übergrösse des Tieres gibt dem Bild wesent-
lich jenes Alptraumhafte, das auch die gleichzeitig ent-
standene berühmte Nachtmahr auszeichnet, in der sich
gleichfalls ein quälender Unhold auf ein völlig wehrloses
Opfer niedergelassen hat.
Es dürfte gerade das Extreme der Situation, das
Gewaltige, Schrecken Erregende, das räumlich und zeit-
lich in unvorstellbare Dimensionen Ausgreifende
gewesen sein, das Füssli zur Behandlung des Themas
reizte. Auf den Entwurf schrieb er «@weTpOV EV *upOoO>»
- «masslos nämlich ist das Erhabene» und verwies damit
auf die neue Zentralkategorie des Sublimen, das die
Schönheit der klassizistischen Regelästhetik ablöste. Zu
den grossen Vorbildern solch ursprünglichen, dunkeln
Dichtens gehörten die griechischen Tragiker und insbe-
sonders der früheste, Aischylos; Füssli wird im Gegen-
satz zu den meisten seiner Zeitgenossen dessen Tragödie
Der gefesselte Prometheus gekannt haben, die ihm aller-
dings nur durch den grossen Atem, die Kühnheit der
poetischen Vision Inspirationsquelle sein konnte, denn
die Darstellung der Befreiung folgte erst in einem wei-
teren, nicht erhaltenen Teil des Zyklus. Überhaupt
wurde diese, schon in den antiken Erzählungen peri-
phere Episode in nachantiker Zeit selten dargestellt.
Schon Herodots Erklärung, Zeus habe die Befreiung
widerwillig zur Erhöhung des Ruhms seines Sohnes
Herakles zugelassen, ist unübersehbar dürftig. Bei
Aischylos erscheint sie in einem ganz anderen Horizont:
Prometheus, der die Zukunft kennt, trotzt Zeus auch ın
seiner Erniederung, weil er die Götterdimmerung der
Kroniden voraussieht. Er weiss, dass das Schicksal Thetis
3inen Sohn bestimmt hat, der seinen Vater überragen
sollte. Und da Zeus’ Sinn nach dieser stand, wäre das
Ende seiner Herrschaft nicht aufzuhalten gewesen -
hätte ihn nicht Prometheus gewarnt: seine Erlösung und
;eine Aufnahme in den Olymp ist der Dank dafür.
Bei der weitläufigen Bildung und dem scharfen Intel-
lekt Füsslis wird die Wahl des ungewöhnlichen Themas
nicht nur formale Gründe gehabt haben. Die Figur des
Prometheus führt ins Zentrum jener geistesgeschichtlich
folgenreichen Verschiebung, die von «exzentrischen»
englischen Vordenkern über Johann Jakob Bodmer zum
Sturm und Drang und zur deutschen Klassik führte“ und
in deren Kontext auch die bereits angesprochene Auf-
wertung des Erhabenen gehört. Auf Shaftesbury zurück-
greifend, propagierte der Zürcher in seinem Aufsatz
«Das poetische Naturell» eine neue Auffassung vom
Beruf des Dichters: das kunstvolle Arrangieren von Wör-
tern nach den Regeln der Poetik genügt nicht mehr, viel-
mehr wird das geniale Schöpfen einer neuen Welt aus
seinem Innern gefordert. Für solches Tun nennt er Pro-
metheus als zentrale Symbolfigur: «Ein solcher Poet ist
ın der That ein zweyter Baumeister, ein rechter Prome-
theus, der unter dem Jupiter arbeitet. Gleichwie der
oberste Künstler, der Urheber der Natur, machet er ein
Ganzes.»
Ein Schritt weiter geht Hamann; Dichten wird ihm
«menschlich-schöpferische Analogie zur Schöpfung der
Welt durch das Wort, den Logos»: Auftakt zu Herders
Verlegung des Schöpferischen in die Natur des Men-
schen. Seine Begegnung mit Goethe in Strassburg 1770,
die Übertragung des erhabenen Tons der Oden Klop-
stocks durch die Dichter des Göttinger Hains aus dem