kostümkundlichen Resultaten der Wissenschaft. Der stile
troubadour, der in einer reichlich fiktiven gotischen
Ambiance Ritter bei Turnieren und Aventüren zeigt,
erfreut sich nach 1815 allgemeiner Beliebtheit.® Doch
die historisch-kritischen Ansprüche steigern sich parallel
zur Geschichtsforschung und belasten die Künstler
zunehmend. So beklagt sich auch Anker in einem Brief
an seinen Elsässer Freund und Kollegen Francois Ehr-
mann, welche Mühe ihm die Beschaffung der Vorlagen
für die alten Gewänder und Waffen bereite.” Und oft
genug bleibt vor lauter materieller Kultur die künstleri-
sche Einheit und der geistige Gehalt auf der Strecke:
man braucht nur Vogels Interpretation zu betrachten.
Nach Napoleon hatte man auch für einige Zeit genug
von grossen Heldentaten: statt der «grande histoire»
wünschte man die «petites histoires», die Anekdoten, die
nicht von Triumph und Tod, sondern vom Alltag, etwa
demjenigen Henris IV, handelten. Solche Gemälde
akzeptierte die Kritik nicht mehr als Historiengemälde,
sondern stufte sie als «genre historique» ein.
Dass die Schweiz trotz ihrer marginalen Stellung im
Kunstbetrieb als Republik inmitten von Monarchien
eine gewisse Rolle in der Umorientierung des Historien-
bildes spielte, konnte bereits bei der Behandlung des
Brutus von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein im Jah-
resbericht 1992 bemerkt werden. Dessen 1781/82 in
Zürich konzipierten und massgeblich von Bodmer und
seinem Kreis geprägten Darstellungen von Götz von Ber-
lichingen mit dem gefangenen Weislingen und Konradin von
Schwaben gehören zu den Inkunablen der mittelalterlich-
anekdotischen Szenen;? für ihre Ausstattung trieb der
Künstler antiquarische Studien im Zürcher Zeughaus.
Gleichzeitig steigerte Füssli im Schwaur der drei Eidgenossen
drei Bauern als Vertreter ihres Volkes zu heroischen
Staatsgründern. Ludwig Vogel, Mitbegründer des deutsch-
römischen Lukasbundes, konvertierte nicht wie andere
Nazarener zum Katholizismus, sondern wandte sich
konsequent republikanisch-nationalen Themen zu. Von
grossem Einfluss auf die europäische Entwicklung war
Leopold Roberts Steigerung des italienischen Hirten-
und Brigantengenres durch Formen und Strukturen des
hohen Stils; als im Salon von 1831 seine Ankunft der
Schnitter in den Pontinischen Sümpfen erschien, hiess die
Kritik in dieser Darstellung von Landarbeitern das wahre
Historiengemälde gegenüber der genrehaften Anekdoten
aus der Geschichte der Fürsten willkommen.“ Als Jacob
Burckhardt aus der von politischen Kämpfen geschüt-
telten Schweiz in das biedermeierlich stillgelegte Berlin
kam, vermisste er in der Kritik der Akademie-Ausstel-
lung 1842 das öffentliche Leben, das für die Blüte der
Historienmalerei erforderlich sei. Sein Lehrer und
Freund Franz Kugler doppelte auf monarchistisch
gefärbte Repliken nach: «Unsere Kunst muß jenem
aristokratischen Element - denn ohne das würde sie frei-
lich gleich von ihrer Höhe hinabsinken —- als nothwen-
diges Gegengewicht ein demokratisches zugesellen. [...]
Ja, ein demokratisches in der ganzen, kecken Bedeutung
des Wortes!»??
Damit werden zwei weitere Kriterien angesprochen,
die Hegel und Schopenhauer bereits um 1820 hervorge-
hoben haben. Dieser wies der Historienmalerei «Lebens-
scenen jeder Art, von großer und geringer Bedeutung»
zu, denn «weder irgendein Individuum, noch irgendeine
Handlung kann ohne Bedeutung sein», und somit ist
alles Menschliche darstellungswürdig.?® Jener betonte
die Notwendigkeit, nicht im Historisch-Antiquarischen
zu verharren, sondern ein allgemeines gegenwärtiges
Interesse zu erreichen. Episoden aus der Vergangenheit
hätten dabei den Vorteil, dass ihnen die gewünschte Ver-
allgemeinerung bereits durch die zeitliche Distanz
eigne.?* Bedingung wäre freilich, dass der Gegenstand
den Betrachtern bekannt wäre, doch die historische
Volksbildung steckte damals noch in ihren Anfängen.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen und Dis-
kussionen erscheint Ankers Kappeler Milchsuppe als Para-
digma eines demokratischen Historienbildes. Abgesehen
davon, dass die Episode in der Schweiz weiten Schichten
geläufig war, vermag sie in ihrer mythischen Dichte
selbst ohne Vorkenntnis Goethes kaum Je erfüllten For-
derung zu genügen, dass eine historische Szene aus sich
selbst verständlich sein müsse. Ohne weiteres ist zu
sehen, dass sich hier zwei im Krieg stehende Parteien an
der Grenze begegnen und statt mit den Schwertern, Hel-
lebarden und Morgensternen zu kämpfen, diese auf die
Seite legen und zum Mahl aus einer gemeinsamen
Schüssel zusammenfinden. Wie schon Stumpf und Bul-