Full text: Jahresbericht 1998 (1998)

dieser Bestand durch ein knappes Dutzend Offsetlitho- 
graphien und Serigraphien zu einer repräsentativen 
Gruppe abgerundet. 
Nicht nur in den 60er Jahren schien der Offsetdruck 
verpönt, sondern noch heute umweht ihn der Geruch 
des zu Gewöhnlichen, weil er technisch zu mechanisch, 
zu wenig handwerklich und preziös erscheint. Doch für 
Sigmar Polke stellte dies alles gerade eine willkommene 
Möglichkeit dar, mit jener falschen Ehrfurcht, die 
zuweilen dem künstlerisch bearbeiteten Papier entgegen- 
gebracht wird, auf Anhieb aufzuräumen. Mit analyti- 
scher Intelligenz, Neugier und Sinn für das intimistische 
Potential der Gattung gelang es ihm immer wieder, in 
äusserst poetische Räume vorzudringen, um gleichzeitig 
das Genre selber ätzend zu «entheiligen». 
Die neu erworbenen Blätter geben Einblick in Polkes 
Denkbewegungen und verweisen immer wieder auf seine 
Malerei. Polkes Vorliebe etwa für bereits bedrucktes 
Papier als Bildgrund entspricht nicht nur dem hohen 
Anteil von Dekostoffen in seinen Gemälden, Die Zier- 
papiere wie etwa das marmorierte oder mit Eidechsen- 
muster geprägte Papier in den Blättern von 1973 («Obe- 
lisk», «Figur mit Hand, es schwindelt») appellieren auch 
an das Potential der Erinnerungen, etwa an das Uni- 
versum der Buchbinder oder an den kinderseligen 
Zauber von Geschenkverpackungen. Auch die Technik 
der Farbschüttung, die Polke seit den 80er Jahren in 
immer wieder von neuem erstaunlichen Varianten 
anwendet, taucht von 1987-1989 als geronnenes Zitat in 
Siebdruck auf. 
In den 70er Jahren hat sich der Künstler extensiv der 
Photographie zugewandt, so dass auch in seiner Druck- 
graphik häufig Verweise darauf anzutreffen sind. Das 
Blatt «Kicker» von 1971 sieht auf Anhieb aus, als hätte es 
starke Knitterspuren, doch bei genauerer Prüfung 
erkennt man ein vertracktes Spiel der Bildebenen. Eine 
im schönen Streiflicht photographierte papierene Knitter- 
landschaft wurde als Doppelbelichtung so auf ein Blatt 
gedruckt, dass der Blick zugleich in den Kasten eines 
Tischfussballs fällt. In «Obelisk, (Hieroglyphen)» von 
1973 greift Polke auf ein Photo seiner bekannten Serie 
«Paris» 1971. Es ist das Bild des Obelisken der Place de la 
Concorde, aufgenommen, als die Sonne genau auf 
dessen Spitze zu stehen kam. In mehrfachbelichteter 
sternförmiger Anordnung und zusätzlich solarisiert, 
wird das Bild zur suggestiven, ja fast hypnotischen 
Erscheinung auf dem dunklen, unruhigen Bildgrund. Es 
sind schwebende Räume, die oszillieren in einer unklar 
gehaltenen Tiefenillusion oder die von sanften, aber 
nachhaltigen Wirbeln erfasst sind, so dass zuweilen sich 
das Oben mit dem Unten vertauscht wie in «Hände (Die 
Vermittlung zwischen dem Oberen und dem Unteren)» 
von 1973. 
Durch eine künstlerisch-konzeptuelle Akzentuierung 
des Prozesshaften der Photographie und des Druckvor- 
gangs überlagern sich immer wieder Raum- und Zeitbe- 
griffe, so dass unschwer auch eine Anspielung an das 
Universum der Drogenerfahrung zu erkennen ist oder 
der «Bewusstseinserweiterung» wie es in jenen Jahren 
hiess. In «Mu nieltnam netorruprup» von 1975, ent- 
standen nach einer Reise nach Pakistan und Afghani- 
stan, steht ein überdimensionierter Fliegenpilz im Zen- 
trum des Bildes. Wie aus der eigenen Kultur zuweilen 
Verbindungen zur fremden geknüpft werden können, ist 
durch die Indianer in Anbetung einerseits und dem 
kryptischen Titel andererseits gegeben, der nichts 
anderes als in gegenläufiger Richtung gelesen eine Zeile 
aus «Ein Männlein steht im Walde» wiedergibt. 
In der Serie «Hopp», «Topp», «Flopp» von 1996 
kommt die vom Künstler seit Jahren mit Passion 
gepflegte Suche nach dem «Druckfehler», der durch 
Zufall verunreinigten und schadhaft gewordenen Raster- 
wiedergabe, zum Zuge. Eine kreativ parasitäre Begeben- 
heit, die an jene höhere Ordnung, jene Instanz, denken 
lässt, auf die sich Polke humorig-hinterlistig immer 
wieder berufen hat (etwa in seinem berühmten Bild 
«Höhere Wesen befehlen, rechte obere Ecke schwarz 
malen» von 1968). So scheint auch die gestisch kreisende 
künstlerische Verausgabung auf dem Blatt «Häuserfront 
(Wer hier nichts erkennen kann, muss selber pendeln)» 
von 1973 nicht auf eine genialische Eingebung des 
Künstlers, sondern nur auf die durch Pendeln eruierten 
Kräfte aus dem All zurückzuführen zu sein. 
Bice Curiger
	        
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