Full text: Jahresbericht 1998 (1998)

BRUCE NAUMAN - 
RÄUME DER SELBSTERFAHRUNG 
Die Ablehnung der traditionellen Kunstformen und der 
Bruch mit den Sehgewohnheiten in den sechziger Jahren 
führten die Künstlergeneration, zu der Bruce Nauman 
gehört, zu neuen Gestaltungsformen, die auf einen ver- 
änderten Bezug zwischen Werk und Betrachter zielten. 
Viele Künstler richteten ihr Augenmerk auf die Erobe- 
rung des realen Raums und seine Aktivierung zum 
Erfahrungsraum, sie propagierten den Prozesscharakter 
des Kunstwerks und wandten sich der Erforschung von 
Wahrnehmungsvorgängen zu. Sie entdeckten neue, 
bisher künstlerisch nicht genutzte Materialien für ihre 
Arbeit und verwendeten die unterschiedlichsten Medien, 
insbesondere Film, Foto und Video, wobei sie die tradi- 
tionellen Grenzen zwischen diesen aufhoben und ihre 
Bildideen in dem jeweils dafür adäquaten Ausdrucks- 
mittel verwirklichten. 
Der 1941 in Fort Wayne, Indiana, geborene Bruce 
Nauman hatte nach seinem Mathematik- und anschlies- 
senden Kunststudium, das er mit dem «Master of Fine 
Arts» an der University of California in Davis abschloss, 
wie viele andere dem als verbraucht und unglaubhaft 
empfundenen Medium der Malerei den Rücken gekehrt 
und sich ab 1965 abstrakten Objekten aus unspekta- 
kulären Materialien zugewandt. Diese frühen Stücke aus 
Fiberglas und Gummi, die an der Wand hängen, sich 
ohne Sockel an sie anlehnen oder sich in einer Knickung 
sowohl auf dem Boden als auch an der Wand abstützen, 
evozieren körperliche Befindlichkeiten. Ebenfalls 1965 
griff Nauman in zwei «Life-Performances» solche Posi- 
tionen mit dem «Instrument» seines eigenen Körpers 
auf. In Reaktion auf die geometrische Perfektion der 
dreidimensionalen Objekte der Minimal Art strebte 
Nauman eine stärker emotionelle Komplexität seiner 
Werke an. Die Verwendung «armer» Materialien und die 
scheinbare Unfertigkeit und skizzenhafte Offenheit der 
Arbeiten sind dabei bewusst eingesetzte Mittel, um bei 
dem Betrachter über den Weg der Wahrnehmung Asso- 
ziationen, Irritationen und Emotionen auszulösen. In 
diesem Sinne benutzte er auch seinen Körper als neues 
Material. Um Kunst zu machen, könne man ihn ebenso 
zut handhaben wie Ton, meinte er.' Mit der Präsentation 
von Negativformen von Körperteilen als abstrakte 
Hüllen oder Hohlformen schuf Nauman völlig neuar- 
ige Objekte, die einen klaren Bruch mit der Skulptur im 
traditionellen Sinn markieren. Mehr als das endgültige 
Produkt interessierte ihn dabei der Entstehungsprozess, 
der häufig am Objekt ablesbar bleibt. 
Um 1970 setzt ein tiefgreifender Wandel in Naumans 
Werk ein. In Erweiterung der Möglichkeiten von 
Skulptur führt sein Weg von der körperbezogenen Pla- 
stik und dem Körper als Kunstgegenstand zu der Gestal- 
tung von begehbaren Räumen. Der Künstler bringt 
dabei Erfahrungen ein, die er mit sich und seinem 
Körper gemacht hat, um entsprechende Situationen und 
Modelle zu schaffen, in denen der Besucher seine 
eigenen, durch das Setting jedoch vorgegebenen Erleb- 
aisse haben kann. Aus dem Performance-Korridor von 
1969, den er für seine Performances vor einem Publikum 
und für sein Videotape Walk with Contrapposto verwendet 
hatte, entwickelt er enge, häufig von Kameras über- 
wachte Korridore, in denen der Benutzer die Grenzen 
seines Körpers erfährt und sich selbst auf den einge- 
bauten Monitoren in irritierenden Perspektiven 
jegegnet. In anderen Gängen oder Räumen können die 
Erfahrungen bei dem oft unerträglich hellen, einfarbig 
ausgefilterten Licht Beklemmungen, ja Klaustrophobien 
auslösen. Solche Gefühle verstärken sich in den Installa- 
tionen mit «Akustischen Wänden» von 1969-1970. 
Wenn man sie betritt, erhöht sich der Druck auf die 
Ohren, wodurch der Wanderer in einer solchermassen 
verfremdeten Welt körperlich noch intensiver erfasst 
ınd bis zur Desorientierung getrieben werden kann. 
Bedrängende Erfahrungen macht der Besucher eben- 
falls in den utopischen Projekten von Tunneln, Kanälen, 
Rampen oder Schächten, die Nauman als Modelle für 
zigantische, unterirdische Bauten seit 1976 in zuneh-
	        
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