BRUCE NAUMAN -
RÄUME DER SELBSTERFAHRUNG
Die Ablehnung der traditionellen Kunstformen und der
Bruch mit den Sehgewohnheiten in den sechziger Jahren
führten die Künstlergeneration, zu der Bruce Nauman
gehört, zu neuen Gestaltungsformen, die auf einen ver-
änderten Bezug zwischen Werk und Betrachter zielten.
Viele Künstler richteten ihr Augenmerk auf die Erobe-
rung des realen Raums und seine Aktivierung zum
Erfahrungsraum, sie propagierten den Prozesscharakter
des Kunstwerks und wandten sich der Erforschung von
Wahrnehmungsvorgängen zu. Sie entdeckten neue,
bisher künstlerisch nicht genutzte Materialien für ihre
Arbeit und verwendeten die unterschiedlichsten Medien,
insbesondere Film, Foto und Video, wobei sie die tradi-
tionellen Grenzen zwischen diesen aufhoben und ihre
Bildideen in dem jeweils dafür adäquaten Ausdrucks-
mittel verwirklichten.
Der 1941 in Fort Wayne, Indiana, geborene Bruce
Nauman hatte nach seinem Mathematik- und anschlies-
senden Kunststudium, das er mit dem «Master of Fine
Arts» an der University of California in Davis abschloss,
wie viele andere dem als verbraucht und unglaubhaft
empfundenen Medium der Malerei den Rücken gekehrt
und sich ab 1965 abstrakten Objekten aus unspekta-
kulären Materialien zugewandt. Diese frühen Stücke aus
Fiberglas und Gummi, die an der Wand hängen, sich
ohne Sockel an sie anlehnen oder sich in einer Knickung
sowohl auf dem Boden als auch an der Wand abstützen,
evozieren körperliche Befindlichkeiten. Ebenfalls 1965
griff Nauman in zwei «Life-Performances» solche Posi-
tionen mit dem «Instrument» seines eigenen Körpers
auf. In Reaktion auf die geometrische Perfektion der
dreidimensionalen Objekte der Minimal Art strebte
Nauman eine stärker emotionelle Komplexität seiner
Werke an. Die Verwendung «armer» Materialien und die
scheinbare Unfertigkeit und skizzenhafte Offenheit der
Arbeiten sind dabei bewusst eingesetzte Mittel, um bei
dem Betrachter über den Weg der Wahrnehmung Asso-
ziationen, Irritationen und Emotionen auszulösen. In
diesem Sinne benutzte er auch seinen Körper als neues
Material. Um Kunst zu machen, könne man ihn ebenso
zut handhaben wie Ton, meinte er.' Mit der Präsentation
von Negativformen von Körperteilen als abstrakte
Hüllen oder Hohlformen schuf Nauman völlig neuar-
ige Objekte, die einen klaren Bruch mit der Skulptur im
traditionellen Sinn markieren. Mehr als das endgültige
Produkt interessierte ihn dabei der Entstehungsprozess,
der häufig am Objekt ablesbar bleibt.
Um 1970 setzt ein tiefgreifender Wandel in Naumans
Werk ein. In Erweiterung der Möglichkeiten von
Skulptur führt sein Weg von der körperbezogenen Pla-
stik und dem Körper als Kunstgegenstand zu der Gestal-
tung von begehbaren Räumen. Der Künstler bringt
dabei Erfahrungen ein, die er mit sich und seinem
Körper gemacht hat, um entsprechende Situationen und
Modelle zu schaffen, in denen der Besucher seine
eigenen, durch das Setting jedoch vorgegebenen Erleb-
aisse haben kann. Aus dem Performance-Korridor von
1969, den er für seine Performances vor einem Publikum
und für sein Videotape Walk with Contrapposto verwendet
hatte, entwickelt er enge, häufig von Kameras über-
wachte Korridore, in denen der Benutzer die Grenzen
seines Körpers erfährt und sich selbst auf den einge-
bauten Monitoren in irritierenden Perspektiven
jegegnet. In anderen Gängen oder Räumen können die
Erfahrungen bei dem oft unerträglich hellen, einfarbig
ausgefilterten Licht Beklemmungen, ja Klaustrophobien
auslösen. Solche Gefühle verstärken sich in den Installa-
tionen mit «Akustischen Wänden» von 1969-1970.
Wenn man sie betritt, erhöht sich der Druck auf die
Ohren, wodurch der Wanderer in einer solchermassen
verfremdeten Welt körperlich noch intensiver erfasst
ınd bis zur Desorientierung getrieben werden kann.
Bedrängende Erfahrungen macht der Besucher eben-
falls in den utopischen Projekten von Tunneln, Kanälen,
Rampen oder Schächten, die Nauman als Modelle für
zigantische, unterirdische Bauten seit 1976 in zuneh-