Full text: Jahresbericht 1998 (1998)

ANKÄUFE AUS DER AUSSTELLUNG 
«FREIE SICHT AUFS MITTELMEER» 
Wer in der Ausstellung «Freie Sicht aufs Mittelmeer» 
durch die Sammlung wanderte, sah plötzlich ein volu- 
minöses Gebilde aus zusammengefügten Kartonschach- 
teln, als hätte aus Versehen jemand die Tür der Warenan- 
lieferung verwechselt. Das Material, die grossen 
Pappschachteln, liessen jedoch schnell wieder an Costa 
Vece (geboren 1969) denken, der im Auftrag des Kunst- 
hauses auch eine Video-Lounge in den Räumen der Gra- 
phischen Sammlung als üppige Kartonlandschaft 
gestaltet hatte. 
Das braune, ärmliche Gebilde mit dem Titel «Dressed 
to Kill», 1998, ist im Innern als Projektionskabine aus- 
gerüstet. Gezeigt wird eine zu einer Schlaufe montierte 
Sequenz aus Brian de Palmas gleichnamigen Kino- 
Thriller «Dressed to Kill». Ganz im Konstrast zu der 
poveren Hülle, zieht einen das Filmgeschehen fast hyp- 
notisch ın ein Ambiente einer abgehobenen Eleganz, die 
sıch von der Aura der klassischen Moderne nährt. In der 
Filmsequenz verfolgen wir mit nie erlahmendem Sus- 
pense eine Frau, die einem Mann nachstellt —- durch die 
Räume eines Museums, vorbei an Bildern von historisch 
abgesicherter Qualität. Alles weist auf Zeichen des Ver- 
sprechens, die wortlose Verfolgung, die verhaltene 
Erotik, der auf den Boden fallende Handschschuh, die 
getönte Brille, das gleissende blonde Haar der Frau, 
während wir allmählich begreifen, dass es zu einer Auf- 
lösung, einer Erfüllung nie kommen kann. Hier, in 
Costa Veces Arbeit, erscheint sie nochmals, die Trauer 
über das unmögliche Versprechen der Moderne, subtil 
eingewoben in ein populär codiertes Genre. Wer wieder 
heraustritt aus der Kartonkabine sieht in der Folge im 
Museum die Werke in anderem, vielleicht postmodern 
getöntem Licht. 
Als wäre das Medium Video allein dafür geschaffen 
worden, Charakteristiken des Malerisch-Fliessenden 
anschaulich zu machen, so nimmt sich die neue Arbeit 
«Das Glas», 1998, von Pipilotti Rist (1962) aus. Sie wurde 
für die Ausstellung gemacht, genauer gesagt, für die 
grosse Wand in der Kaffee-Bar der Eingangshalle. Der 
mit einem breiten Holzrahmen versehene, hochforma- 
tige Plasmabildschirm mit seiner aussergewöhnlichen 
Leuchtkraft zieht die Blicke auf den ununterbrochenen 
S]uss bunter Flüssigkeiten, der sich immerzu in über- 
quellende Gläser ergiesst. 
Beat Streuli (geboren 1957) gehört zu den im Ausland 
bekanntesten Schweizer Künstlern seiner Generation. 
Sein Augenmerk richtet er in grossformatigen Bildern 
auf die Menschen, die die Städte der Welt bevölkerm. Es 
sind sonnenbeschienene Passanten, die sich im Strom 
der Masse selber vergessend der Öffentlichkeit preis- 
geben. Indem Streuli geduldig beobachtet und mit dem 
Teleobjektiv photographiert, nähert er sich sozusagen 
dem Ort einer kollektiven Psyche. 
Nachdem er in den 80er und frühen 90er Jahren vor- 
wiegend Photographien präsentierte, begann Beat Streuli 
auch grosse Dia-Projektionen zu zeigen. «Oxford 
Street», 1997, entstand für eine Ausstellung in der Lon- 
doner Tate Gallery und besteht aus einer rund zwanzig- 
minütigen Dia-Schau mit neun Projektoren. «Oxford 
Street» ist ein reifes, äusserst eiınnehmendes Werk dieses 
in Düsseldorf lebenden Künstlers. Die lautlos orche- 
strierten Bilder verweben sich gleichsam musikalisch, es 
ist ein Stakkato von Details, die sich immer wieder zum 
zrösseren Ganzen fügen. Momentaufnahmen wieder- 
holen sich, welche einer Person einen Augenblick lang 
zrössere Beachtung schenken, Sequenzen, die in 
erstarrten Wellenbewegungen uns Menschen und kleine, 
sedeutungsvolle visuelle Informationen über sie näher- 
aringen. Vor uns Betrachtern türmt sich zuweilen in 
atemberaubender Dimension, Grösse und Nahsicht das 
sonnenbeschienene Treiben der sich auf dieser sehr 
selebten Londoner Einkaufstrasse bewegenden Men- 
schen - als wäre das Wunder geschehen, das Verächtliche 
ım Begriff anonyme Masse überzuführen in die Vorstel- 
‚ung einer fast ekstatisch feierlich wirkenden Begeben- 
1eit. Als provokativer Kern bleibt, dass jeglicher
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.