AUSSTELLUNGEN
Chagall, Kandinsky, Malewitsch und die
Russische Avantgarde
Die Ausstellung «Chagall, Kandinsky, Malewitsch und
die Russische Avantgarde» wurde von der Kunsthalle
Hamburg in Zusammenarbeit mit dem Kunsthaus kon-
zipiert. Hauptleihgeber war das Staatliche Russische
Museum ın St. Petersburg; doch auch 14 russische Re-
gionalmuseen stellten eine eindrückliche Reihe von
Bildern zur Verfügung, sodass eine Fülle unbekannter
Gemälde manch neue Einsicht in das komplexe Thema
zarlaubte. Nicht die im Westen hinlänglich bekannte
russische Revolutionskunst sollte erneut evoziert wer-
den, sondern vielmehr jene bahnbrechenden Tendenzen
der ersten beiden Jahrzehnte des 20.Jahrhunderts, die
den Suprematismus, d.h. die konsequenteste und radi-
kalste Visualisierung der Utopie eines «neuen» Men-
schen, vorbereitet und ermöglicht haben. Die breite
Darstellung der Auseinandersetzung der russischen
Künstler — und vor allem der Künstlerinnen, deren
kreatives Potential besonders hervorzuheben ist, mit
den westlichen Avantgardebewegungen wie Fauvismus,
Kubismus und Futurismus verdeutlichte augenfällig die
spezifisch russische Adaptation des primär in Frankreich
und Italien Entwickelten. Das andersartige Empfinden
der russischen Maler, das sie vom provinziellen Imi-
tieren der westlichen Kunst bewahrte, liess sie stets
autochthone Komponenten - so die ungebrochene Ver-
ehrung der Ikone oder die Auseinandersetzung mit der
ornamentverliebten Volkskunst - in ihre zukunftswei-
senden Gestaltungsmöglichkeiten integrieren.
In Zürich konnte die Ausstellung gegenüber der
Hamburger Erstpräsentation durch ein einzigartiges En-
semble von Werken des leider viel zu wenig bekannten
[van Puni erweitert werden, da sich in einer Zürcher
Privatsammlung die weltweit bedeutendste Werkgruppe
dieses in den Zwanzigerjahren über Berlin nach Paris
ausgewanderten Malers findet. In Russland hatte er
1913/14 als enger Weggefährte von Kasimir Malewitsch
dessen bahnbrechende Ausstellungen in Moskau und
St. Petersburg organisiert. Als Künstler wurde Puni
vor allem durch ungegenständliche, dreidimensionale
Reliefkonstruktionen bekannt, von denen eine reich-
haltige Auswahl den krönenden Abschluss der Ausstel-
lung bildete. Das Publikumsinteresse war über Erwarten
gross, was die Kunsthausleitung einiger Sorgen bezüg-
lich der Finanzlage des Instituts enthob. FB
Rudolf Steiner — Andrej Belyj - Joseph Beuys - Emma Kunz:
Richtkräfte für das 21. Jahrhundert
Weit über Erwartung erfolgreich war auch diese Ausstel-
‘ung, die sich als Fortsetzung der Russischen Avant-
garde-Positionen von Kandinsky und Malewitsch und
Bindeglied zu «Weltuntergang» und der Katharsis der
2000 Sculpture von Walter de Maria verstand. Nicht nur
die «Esoteriker», ein fürs Kunsthaus eher neues Publi-
kum, kamen, auch vielen «Uneingeweihten» wurden die
Augen und Ohren für das «Geistige in der Kunst»
veöffnet.
Im Zentrum des Projekts stand die bisher grösste je
gezeigte Auswahl aus den über tausend von 1919 bis 1924
entstandenen Wandtafelzeichnungen Rudolf Steiners.
Nach dem Auftakt mit je einem Hauptbild von Male-
witsch, Kandinsky und Mondrian bildeten die selbst für
viele vorurteilslose Zeitgenossen überraschenden Tafeln
Steiners mit ihren farbig leuchtenden Kreidezeich-
nungen auf tiefschwarzer Pappe ein zweireihiges Lehr-
Band, das die ganze Universalität seines Denkens visuell
und skriptural ausbreitete. Inmitten des grossen Raumes
stand die Kapelle mit den unbekannten, eben in Dor-
nach wiederentdeckten Meditationszeichnungen des
russischen Schriftstellers und Symbolismus-Theoretikers
Andrej Belyj, die er zwischen 1912 und 1916 unter
Steiners Anleitung ın Dornach anfertigte. Dank seiner