GRAPHISCHE SAMMLUNG
Als wichtigster Neuzugang darf an erster Stelle das 1908
gemalte Selbstbildnis von Egon Schiele genannt werden,
das uns Herr Dr. Röder zu seinem 100. Geburtstag ge-
schenkt hat. Es bildet nach zwei Seiten hin eine will-
kommene Ergänzung. Die Stilisierung der Körper-
formen und die flächige, blaue Raumfarbe schaffen den
Bezug zur Monumentalmalerei von Ferdinand Hodler,
dem nach Klimt und Munch einflussreichsten Vorbild
Schieles während seines Studiums an der Akademie. Im
vibrierenden, stellenweise fast körperlosen Farbauftrag
gibt sich der psychologisierende, vom Wiener Milieu der
Jahrhundertwende geprägte Scharfblick des Porträtisten
zu erkennen. Die Nähe zu Kokoschkas Bildnis Helene
Kann, um 1910, das die Sammlung gleichfalls Herrn Dr.
Röder verdankt, liess sich durch unsere Hängung im
zweiten Stock des Altbaus gut nachvollziehen. Die ein-
zigartige Stellung verdankt das frühe Werk aber dem
Künstler selbst, der sein kurzes Leben von Kindheit an
restlos in den Dienst der Kunst stellte und diesen Prozess
in einer Reihe von ergreifenden Selbstbildnissen doku-
mentierte.
Die Graphikerin, Bildhauerin und Nahost-Archäo-
login Terry Haass schenkte uns anlässlich der Retrospek-
tive in der Galerie Art Focus ein Exemplar von /nanna,
eine mit 12 Farbradierungen ausgestattete, 1961 bei
Lacouriere erschienene Prachtausgabe des sumerischen
Schöpfungsmythos. Wir nutzten die Gelegenheit, der
Künstlerin mit einer Vitrinenausstellung in unseren
Bibliotheksräumen zu danken.
Beim Ausbau der Sammlung mit eigenen Mitteln
standen die Ergänzungen der im Vorjahr erworbenen
Werkgruppen von Lothar Baumgarten und Sigmar Polke
im Vordergrund. Die Verhandlungen über Arbeiten von
Polke konnten noch nicht abgeschlossen werden, sodass
ein dafür vorgesehener Betrag noch als Guthaben in der
Rechnung erscheint. Bei Baumgarten liessen wir uns von
der Idealvorstellung des Künstlers leiten, der zur Abrun-
dung des inzwischen auf 38 druckgraphische Werke und
9 Photoarbeiten angewachsenen Bestandes den Ankauf
der drei C-Prints Augapfel (1968), Finsternis gekreuzter
Schatten (1968) und AÄskulap (1971) sowie des Offset-
Idrucks Fiederzwenke (1997) empfohlen hatte. Als Zugabe
schenkte Lothar Baumgarten der Graphischen Samm-
‘ung je ein Exemplar seiner inzwischen vergriffenen
Ausstellungsplakate und Editionen. Ebenso konnten
die Bestände von Cecile Wick durch den Ankauf der
Kassette Mein Nachbar (1998) mit acht Heliogravüren
sowie von Emmy Hennings und Helmut Dirnaichner
sinnvoll ergänzt werden. Anlässlich der Gedenkausstel-
lung zum 100. Geburtstag der vor vier Jahren verstor-
benen Künstlerin Lea Zanolli, genannt «Zalea», schenkte
uns Herr Guido Rossi 22 Collagen aus ihrem Zürcher
Atelier.
Seit Jahren haben wir das Schaffen von Felix Droese
aufmerksam verfolgt, ausgestellt und gesammelt. Die
von Frau Dr. Ursula Perucchi im Auftrag des Institutes
für Auslandsbeziehungen (ifa), Stuttgart, erarbeitete und
mit einem Katalog ausgestattete Wanderausstellung, die
1991 im Graphischen Kabinett begann und in den fol-
genden Jahren um die Welt reiste, wird nun als Dauer-
leihgabe mit 83 Werken auf Papier und 3 kleinen
Objekten eine Bleibe in den Sammlungen des Kunst-
hauses finden. Dank hervorragender Zusammenarbeit
mit dem ifa konnten die Formalitäten zu einem allseits
zrfreulichen Abschluss gebracht werden.
Die wissenschaftliche Bearbeitung und Konservie-
rung stand dieses Jahr vorwiegend im Dienste des Leih-
verkehrs, der schon in den ersten Monaten Rekord-
zahlen erreichte. In den Zwischenstunden hat Herr
Armin Simon mit der Inventarisierung und Passepartou-
rierung der Neujahrsgaben der Schweizerischen Graphi-
schen Gesellschaft begonnen. Für den ausserordentli-
chen Einsatz in diesem zweiten und, wie wir hoffen
wollen, letzten Übergangsjahr sei den Kollegen und Kol-
leginnen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
herzlich gedankt. BvW/ChK