dreidimensional wirkenden Körperlichkeit durch Giotto
entsteht der immer wieder neu zu vermittelnde Antago-
nismus von Bildfläche und Bildtiefe. In den frühen Stil-
leben mit ihrer entschiedenen Betonung der plastischen
Dinge spitzt sich dieser Widerspruch zu: Die Muscheln
im Zürcher Stilleben van der Asts wirken primär illusio-
nistisch greifbar und sind kaum in das Bild eingebun-
den. Nicht von ungefähr spielen in dieser frühen Phase
gemalte Binnenrahmen, wie bereits beim Aufkommen
der Zentralperspektive im 15. Jahrhundert, eine wichtige
Rolle: Sie definieren im Sinne Albertis den Inhalt als
Fensterausblick. Um zu einer ästhetisch befriedigenden
Bildeinheit zu gelangen, gingen die holländische und die
flämische Malerei zwei verschiedene Wege: Im Norden
tauchten Pieter Claesz und seine Kollegen durch die
tonale Abstufung und die Dämpfung der Buntwerte alle
Dinge in eine stimmungshafte Atmosphäre, ähnlich wie
gleichzeitig Jan van Goyen und andere die Landschaften
in einen silbernen Dunst hüllten. Im Umkreis von
Rubens aber verschmolz Snyders durch die flüssige
Lebendigkeit seines Pinsels alles zu einem sinnlichen
Ganzen; seine Nachfolger steigerten dies zu den barock
üppigen Kompositionen, in denen der einzelne Gegen-
stand in dekorativer Fülle aufgeht.
Die frühen französischen Stilleben lassen gegenüber
den niederländischen eine zugleich altertümliche wie
merkwürdig modern reflektierende Haltung erkennen.
Sebastian Stoskopff sucht, wohl nicht ohne Erinne-
rungen an die deutsche Malerei des 15. Jahrhunderts, ins-
besondere an Konrad Witz, und auf eine geistige
Gestimmtheit seiner Pariser Umgebung eingehend,
eigenständige Lösungen für die Einbindung der gerade
von ihm sehr energisch erfassten Gegenstände in eine
überzeugende Bildform.° In dem Basler Vanitas-Stilleben
lässt er den Widerspruch von flacher Leinwand und
Tiefenillusion in die Augen springen, indem er ein
Almanachblatt in Trompe-l’oeil-Manier auf die Ober-
fläche des Bildes heftet. Doch die plastische Präsenz des
Schädels und der Bücher drängen den Kalender in den
schwarzen Hintergrund zurück: Ein irritierender Kipp-
effekt, der inhaltlich das Scheinhafte des Diesseitigen
und zugleich einen hohen Grad an Bewusstheit für die
Probleme des Mediums Bild demonstriert. Das 1630
datierte Gemälde muss im Kreis der Pariser Stilleben-
maler diskutiert worden sein: Noch 1641 varliert es
Damien Lhomme, wobei er den Almanach allerdings
eindeutig hinter die Objekte versetzt. Die nahezu
schwarzen Bildgründe wirken weder explizit als Raum-
dunkel noch als Rückwände; von jeglicher Differenzie-
rung frei, betonen sie vielmehr den abstrakten Wert der
Bildfläche und zugleich jedes Obiekt als in sich geschlos-
sene Einheit.
Jacques Linards frühes Muschelstilleben von 1624,
zugleich sein erstes datiertes Bild, zeigt bereits ein bild-
parallel in die Mitte gerücktes Behältnis - eine Span-
schachtel —-, das sich exakt auf das Bildviereck bezieht
und die Tiefenentwicklung blockiert.” Dazu kommt ein
merkwürdig widerständiges Verhältnis von Aufsicht und
Ansicht: Mehrere Schnecken erscheinen frontal, die
Oberseite der Spanschachtel hingegen unnatürlich steil.
In seinem grössten und reichhaltigsten Bild, jenes 1627
bezeichnete Stilleben, das als erstes durch die Auswahl
der Gegenstände auf die fünf Sinne verweist, lässt er per-
spektivische Widersprüche hart auf die dominierenden
bildparallelen Elemente prallen, so dass man kaum mehr
von einem befriedigenden Ganzen sprechen kann.®
Weniger entschieden gilt Ähnliches für ein grosses
Muschelstilleben von 1640. Auch im Zürcher Bild ist die
Perspektive nicht einheitlich, doch dient dies hier zur
exakten Fixierung des Kästchens im Verhältnis zu den
Bildrändern. Zwischen diesen beiden Rechtecken sind
die wenigen, präzise gewählten und positionierten Rund-
formen der Meerschnecken wie Perlen auf dem Kreis
einer Kette aufgereiht. Dadurch wird die Tiefendimen-
sion überspielt zugunsten jener geometrisch rhythmi-
schen Präsenz der Bildfläche, der in der französischen
Malerei stets einen besonderen Wert zugemessen wurde.
Dies zeichnet, selbstverständlich auf einem ganz ande-
ren Niveau, auch die Kompositionen Poussins gegen-
über den mächtigen Szenen seiner italienischen Kol-
legen aus, und so kam es auch nicht von ungefähr, dass
die Rückbesinnung auf die Bildfläche gegenüber dem
Tiefenraum bei Cezanne und Gauguin gerade in Frank-
reich erfolgte.
Auch in der Gestaltung der Einzelheiten zielt Linard
gegenüber den Holländern stärker auf künstlerisch