BRUCE NAUMAN
MODEL FOR OUTDOOR PIECE, 1976
Ein Architekt hätte das Modell aus Holz und Gips, das
einen Innenraum ohne Bedachung und mit unebenem
3oden zeigt, sicher sockelbündig präsentiert. Ein Gra-
phiker wäre sicher nicht vom quadratischen Grundriss
um wenige Zentimeter abgewichen und hätte die Wände
in einem numerischen Verhältnis zu den Seitenlängen
hochgezogen. Nun oszilliert es zwischen 4,9 und 5,2.
Und ein Hygro-Ingenieur hätte sicher davon abgeraten,
ausgerechnet in der Raummitte den Boden zu senken.
Aber eben, da war kein Konstrukteur am Werk, sondern
ein Künstler, der das Modell zwar als eigenständige
Skulptur gelten lässt, aber gleichzeitig sie auch als Mög-
lichkeit einer grösseren Ausführung in Beton versteht.
40 Fuss im annähernden Quadrat lautet die Angabe,
unbedacht, zum Himmel offen, in der Raummitte mit
um 45 cm gesenktem Boden. Bruce Nauman hat vor
dieser Skulptur seit 1969/70 seine Korridore gebaut, die
Geist und Körper konditionieren, den Menschen den
Jberwachungskameras aussetzen, vor denen es kein
Entrinnen gibt, und die oft das Gefühl eines Tritts in die
Leere provozieren trotz der Enge, die nur ein Vor-und-
Zurück zulässt. In den Skulpturen nach Model for Out-
door Piece setzt er sich mit dem Phänomen der «Depres-
sion», der Vertiefung zur Mitte hin auseinander: Es ent-
stehen 1977 die Triangular Depression, die Rhomboid
Depression und die unterirdischen Tunnels, ebenfalls
Modelle zu grösseren Ausführungen. Model for Outdoor
Piece ist also eine Art Schlüsselwerk, das das Thema der
unwirtlichen, zeit- und ortlosen Räume verbindet mit
den späteren unterirdischen Tunnelanlagen mit ihren
überraschenden Übergängen von Dreiecken in Quadrate
ın kreisförmiger plastischer Gestalt.
Damit ist aber nur ein Teil des Models verständlich.
Vergleicht man nämlich das Verhältnis der Öffnungen
zur Wandhöhe, ergibt das lediglich eine Höhe von
43 cm, um ins Innere des Raumes zu gelangen. Das kann
nur kriechend geschafft werden, und die Korpulenz der
Eintrittswilligen kreiert eine natürliche Selektion. Die
eine der beiden zum Werk hinführenden Zeichnungen
trägt den Titel Zheater, private theater, absurdly private
theater (1976, Sammlung Crex). Das Model wird so als Pri-
vatbühne für absurdes Theater gedeutet für einen oder
vier Akteure, die kriechend in ihren abgeschlossenen
Privataktionsraum unter freiem Himmel eindringen.
Nauman hat in der darauf folgenden Skulptur die Span-
nung zwischen Privatem und Öffentlichkeit noch weiter
gedehnt: Model for Outdoor Piece: Depression (1976, Staats-
galerie Stuttgart) misst etwas über zwei Meter und zeigt
nur noch die Absenkung ohne die Umfassungsmauer. In
der grossen Ausführung würde das Zentrum 240 cm
unter der Erdoberfläche liegen und von da aus in vier
Sektoren regelmässig zu ihr ansteigen. Der Akteur in der
Senkung würde folglich den Bühnenrand auf oder über
Augenhöhe sehen, was laut Nauman das Wesen «der
Konfrontation von privater Erfahrung und öffentlicher
Zurschausstellung» ausmacht.
In seinen frühen Videos hat Bruce Nauman eine
Syntax körperlicher Bewegungen (Scheitern einer Levita-
tion im Atelier, 1966; Wand-Boden Positionen, 1968; In der
Ecke hüpfen, 1968; Tanz oder Übung am Rande eines Vierecks,
1967/68) geschaffen, die in stets gesteigerter Komplexität
zu den «Beckett Walks» führte. Die für die Kunst Nau-
mans sehr erhellenden Parallelen und Bezüge zwischen
ihm und dem Schriftsteller, Dichter, Inszenator werden
gegenwärtig in einer Ausstellung in Wien untersucht
(Samuel Beckett/Bruce Nauman, Kunsthalle Wien, 4.2.-
30.4.2000). Nauman hat Becketts The Lost Ones in New
York gesehen und den Text gelesen, meinte aber: «Ich
hab das erst gelesen, als ich schon recht weit mit der
Arbeit war. Es war mehr eine Bestätigung dessen, woran
ich gedacht hatte.» (1999)
Geschlossene Räume, konditioniertes Körperver
halten, unwirtlich seltsames Licht, die Konfrontation
privatester Erfahrung mit dem öffentlichen Agieren, die
Durchbrechung der geometrischen Grundformen, die
Provokation der Wahrnehmung durch Störung deı