Full text: Jahresbericht 1999 (1999)

BRUCE NAUMAN 
MODEL FOR OUTDOOR PIECE, 1976 
Ein Architekt hätte das Modell aus Holz und Gips, das 
einen Innenraum ohne Bedachung und mit unebenem 
3oden zeigt, sicher sockelbündig präsentiert. Ein Gra- 
phiker wäre sicher nicht vom quadratischen Grundriss 
um wenige Zentimeter abgewichen und hätte die Wände 
in einem numerischen Verhältnis zu den Seitenlängen 
hochgezogen. Nun oszilliert es zwischen 4,9 und 5,2. 
Und ein Hygro-Ingenieur hätte sicher davon abgeraten, 
ausgerechnet in der Raummitte den Boden zu senken. 
Aber eben, da war kein Konstrukteur am Werk, sondern 
ein Künstler, der das Modell zwar als eigenständige 
Skulptur gelten lässt, aber gleichzeitig sie auch als Mög- 
lichkeit einer grösseren Ausführung in Beton versteht. 
40 Fuss im annähernden Quadrat lautet die Angabe, 
unbedacht, zum Himmel offen, in der Raummitte mit 
um 45 cm gesenktem Boden. Bruce Nauman hat vor 
dieser Skulptur seit 1969/70 seine Korridore gebaut, die 
Geist und Körper konditionieren, den Menschen den 
Jberwachungskameras aussetzen, vor denen es kein 
Entrinnen gibt, und die oft das Gefühl eines Tritts in die 
Leere provozieren trotz der Enge, die nur ein Vor-und- 
Zurück zulässt. In den Skulpturen nach Model for Out- 
door Piece setzt er sich mit dem Phänomen der «Depres- 
sion», der Vertiefung zur Mitte hin auseinander: Es ent- 
stehen 1977 die Triangular Depression, die Rhomboid 
Depression und die unterirdischen Tunnels, ebenfalls 
Modelle zu grösseren Ausführungen. Model for Outdoor 
Piece ist also eine Art Schlüsselwerk, das das Thema der 
unwirtlichen, zeit- und ortlosen Räume verbindet mit 
den späteren unterirdischen Tunnelanlagen mit ihren 
überraschenden Übergängen von Dreiecken in Quadrate 
ın kreisförmiger plastischer Gestalt. 
Damit ist aber nur ein Teil des Models verständlich. 
Vergleicht man nämlich das Verhältnis der Öffnungen 
zur Wandhöhe, ergibt das lediglich eine Höhe von 
43 cm, um ins Innere des Raumes zu gelangen. Das kann 
nur kriechend geschafft werden, und die Korpulenz der 
Eintrittswilligen kreiert eine natürliche Selektion. Die 
eine der beiden zum Werk hinführenden Zeichnungen 
trägt den Titel Zheater, private theater, absurdly private 
theater (1976, Sammlung Crex). Das Model wird so als Pri- 
vatbühne für absurdes Theater gedeutet für einen oder 
vier Akteure, die kriechend in ihren abgeschlossenen 
Privataktionsraum unter freiem Himmel eindringen. 
Nauman hat in der darauf folgenden Skulptur die Span- 
nung zwischen Privatem und Öffentlichkeit noch weiter 
gedehnt: Model for Outdoor Piece: Depression (1976, Staats- 
galerie Stuttgart) misst etwas über zwei Meter und zeigt 
nur noch die Absenkung ohne die Umfassungsmauer. In 
der grossen Ausführung würde das Zentrum 240 cm 
unter der Erdoberfläche liegen und von da aus in vier 
Sektoren regelmässig zu ihr ansteigen. Der Akteur in der 
Senkung würde folglich den Bühnenrand auf oder über 
Augenhöhe sehen, was laut Nauman das Wesen «der 
Konfrontation von privater Erfahrung und öffentlicher 
Zurschausstellung» ausmacht. 
In seinen frühen Videos hat Bruce Nauman eine 
Syntax körperlicher Bewegungen (Scheitern einer Levita- 
tion im Atelier, 1966; Wand-Boden Positionen, 1968; In der 
Ecke hüpfen, 1968; Tanz oder Übung am Rande eines Vierecks, 
1967/68) geschaffen, die in stets gesteigerter Komplexität 
zu den «Beckett Walks» führte. Die für die Kunst Nau- 
mans sehr erhellenden Parallelen und Bezüge zwischen 
ihm und dem Schriftsteller, Dichter, Inszenator werden 
gegenwärtig in einer Ausstellung in Wien untersucht 
(Samuel Beckett/Bruce Nauman, Kunsthalle Wien, 4.2.- 
30.4.2000). Nauman hat Becketts The Lost Ones in New 
York gesehen und den Text gelesen, meinte aber: «Ich 
hab das erst gelesen, als ich schon recht weit mit der 
Arbeit war. Es war mehr eine Bestätigung dessen, woran 
ich gedacht hatte.» (1999) 
Geschlossene Räume, konditioniertes Körperver 
halten, unwirtlich seltsames Licht, die Konfrontation 
privatester Erfahrung mit dem öffentlichen Agieren, die 
Durchbrechung der geometrischen Grundformen, die 
Provokation der Wahrnehmung durch Störung deı
	        
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