HINWEISE AUF
EINIGE NEUERWERBUNGEN
GIAMBATTISTA TIEPOLO
DIE FAMILIE DES DARIUS VOR ALEXANDER
Mitten im Kunsthaus befindet sich der grösste Aus-
stellungssaal der Sammlung, den die Aufsichten spon-
tan «die Kirche» getauft haben. Tatsächlich kann man
im Grundriss leicht eine einfache Barockkirche mit ei-
ner durch zwei Pfeiler abgetrennten Vorhalle, dem
Hauptschiff und einem Chorraum erkennen. Noch
mehr tragen freilich die hier hängenden monumenta-
len Gemälde des 17. und 18. Jahrhunderts zu diesem
Eindruck bei; mehrere zeigen überdies christliche Sze-
nen, zwei sind Portraits von Kardinälen und eines der
eindrücklichsten gibt sogar das riesige Innere von
St. Peter wieder. Eigentliche Kirchenbilder sind es
allerdings nicht, vielleicht abgesehen von der Madon-
na, die mit Petrus den ersten Gefährten des heiligen Bruno
erscheint, sondern sogenannte «Gallery Pictures»: auf-
wendige, künstlerisch anspruchsvolle Gemälde, die
für die repräsentativen Galerien in den Schlössern
und Palais des kunstliebenden Hochadels entstanden.
Oft entfalteten die berühmten italienischen Barock-
maler hier ihre grösste Meisterschaft, an oberster Stel-
le in der Hierarchie der Aufträge aber standen die
Altarbilder und die bedeutungsschweren Ausstattun-
gen der Hauptsäle der fürstlichen Residenzen. Diese
sprengen freilich schon durch ihre Grösse und zumal
als Fresken die Möglichkeiten unseres kleinen Mu-
seums und kommen auf jeden Fall an ihren ursprüng-
lichen Orten, für die sie geschaffen und in ıhrer Wir-
kung berechnet wurden, am besten zur Geltung.
Rom, Neapel und Bologna waren die grossen Zen-
tren, in denen um 1600 die Barockmalerei aufblühte
und die sowohl Altar- wie Galeriebilder nach ganz
Europa exportierten. Die wichtigsten Vorbilder aber
waren neben Raphael die Venezianer des 16. Jahrhun-
derts: Tizian für die Tiefe der Farbe und die lebens-
volle Präsenz der Menschen, Tintoretto für die Kühn-
heit der Raumentwicklung und der Komposition,
Veronese für die Kunst der Gruppierung und die
Pracht der dekorativen Gesamtwirkung. Gegen 1700
veränderte sich das Lebensgefühl: die von der religiö-
sen Inbrunst der Gegenreformation dominierte dra-
matische Spannung des Individuums zwischen hinfäl-
ligem Diesseits und ewigem Jenseits trat zurück; ent-
lastet, lockerte sich die Geselligkeit und entfaltete sich,
durch die Toleranz der beginnenden Aufklärung be-
fördert, vielfältig und subtil: Watteau fand in seinen
Fötes galantes den vollendeten Ausdruck dafür. Nun
lebt die venezianische Malerei wieder auf, war doch
die Serenissima sowohl das internationale Zentrum
der Lustbarkeiten, als auch, im politischen Ausgleich
vielfältiger Interessen als alte Adelsrepublik reich er-
fahren, die hohe Schule der Diplomatie und der
kunstvollen Beziehungspflege. Sebastiano Ricci trans-
formiert den schweren reifen Barock durch den Rück-
griff auf Veronese zu hell leuchtender Farbigkeit und
leichterer Sinnlichkeit. Mit raschem und sicherem Pin-
sel schmücken er und seine Landsleute die Kirchen
und Paläste Europas. Erben einer vielfältigen, Jahr-
hunderte alten malerischen Tradition schöpfen sie aus
einem breiten, vielfach erprobten Repertoire rheto-
risch präzis sprechender Ausdrucksformen in Mimik,
Gestik, Haltung und Gruppierung: wie spielend ver-
schmelzen die Forderungen der darzustellenden, oft
komplexen Historien mit den Gesetzen der künstleri-
schen Gestaltung.
Der «präsidierende Genius» dieses letzten Höhe-
punktes der alteuropäischen Malerei aber ist Giam-
battista Tiepolo. Leider ist er in der hervorragenden
Auswahl von Barockbildern und des venezianischen
Settecentos der Sammlung Koetser nicht vertreten,