holt festgehalten - auch weiter hinten im selben Heft.
Ob es wohl auch dort üblich war, die Hefte gelegent-
lich zur Kontrolle einzusammeln? Ebenso reizvoll
sind die Aufsatzhefte, in denen sich die raschen Fort-
schritte Albertos in der deutschen Sprache verfolgen
lassen. Auch hier gibt es, meist in farbiger Tusche,
zahlreiche Vignetten zu den behandelten Themen.
Die Abenteurer ist ein kleines Drama mit spanischen
Haudegen, friedlicher geht es bei den schmuckreichen
Kopfbedeckungen aus aller Welt zu. Und tatsächlich fin-
det sich hier der Aufsatz über das Thema Ein Bild aus
Hermann und Dorothea, dessen Abfassung er in einem
Brief an Lucas Lichtenhan wortreich beschreibt, mit
den wenigen Sätzen Text und einem sorgfältig ausge-
führten Aquarell der Szene unter dem Birnbaum. In
dem Aufsatz Wie ich zum ersten Mal nach Hause kam
griff er passenderweise die friesartige Dekorationswei-
se auf, die Giovanni bei der Illustration der Engadiner
Märchen von Bundi verwendete. In den hinteren Sei-
ten dieser Hefte und in einem kleinen Notizheft
bringt sich der sechzehnjährige Bengel mit alterspezi-
fischen Boxkämpfen, Mänaden und dergleichen zur
Geltung.
Später hat Alberto immer wieder erzählt, wie er in
seiner Jugend alles darstellen konnte und wie sich die-
se Sicherheit plötzlich und schmerzhaft verlor. Zwei
Skizzenblöcke aus seiner Studienzeit in Genf im Win-
ter 1919/20, aus der wir bisher kaum etwas kannten,
dokumentieren diesen Verlust und die Schwierigkei-
ten, denen er damals ausgesetzt war. Die Zeichnungen
— erste Akte, Szenen aus Dancings und von Jahrmärk-
ten - wirken merkwürdig flau, ja nachlässig dilettan-
tisch; nach am überzeugendsten wirken ein paar Kopf-
studien. Selbst die Landschaften, darunter eine Sonne
über Hügeln und einen Blick von der Oschwand, wo
er seinen Paten Cuno Amiet besuchte, beschränken
sich auf wenige, zusammenhangslose Striche. Noch
stets mischt sich pubertär Triebhaftes ein, Cowboy-
Szenen, ein von der Südsee träumender Kopf.
Die Reisen nach Italien, im Mai 1920 mit dem Va-
ter an die Biennale mit der Entdeckung Tintorettos
und Giottos und im Herbst nach Rom, wo er bis in
den Sommer 1921 bei Verwandten wohnte, boten
neue Anregungen. In Florenz kauft er sich ein gross-
formatiges Skizzenbuch und beginnt nach ägypti
schen Reliefs und Skulpturen zu kopieren, darunter
eine Portraitbüste, «die erste Plastik eines Kopfes, die
mich lebensähnlich dünkte». Weitere Kopien macht eı
nach Fresken, Figuren aus Andrea da Firenzes allego-
rischer Darstellung der Theologie des Thomas von
Aquin in der Spanischen Kapelle bei Santa Maria No-
vella, nach der berühmten Kanefore aus Raphaels
Borgobrand. Er versucht antike Szenen, vielleicht die
Opferung Iphigeniens und Orest vor Iphigenie in Tauris
u.a., zu komponieren ohne zu überzeugenden Resul-
taten vorzustossen.
Ein kleines Skizzenbuch aus der ersten Zeit in Paris
schliesst im Charakter an die Hefte aus Genf an:
flüchtige Akte, Szenen in Cabarets, Kopfstudien, dar-
unter Selbstbildnisse. Die Fortschritte erscheinen ge-
ring und lassen die anhaltenden Schwierigkeiten er
kennen; schwer denkbar, dass die bekannten meister
haft analytischen Aktzeichnungen bereits in dieseı
Zeit einsetzen. Merkwürdigerweise hält Alberto den
Blick über den Tuilerien-Garten zur Place des Pyrami-
des fest, wo er 1938 von einem Auto angefahren wird
Er arbeitet an den in Italien begonnenen altgriechi-
schen Szenen und an einer Darstellung des Tanzes um
das Goldene Kalb mit dem die Gesetztafeln zer
schmetternden Moses weiter. Mehrere Seiten füllt eı
mit schematischen Monumentalarchitekturen mit
winzigen Menschen, wie wir sie bereits aus Rand-
zeichnungen im Handbuch der Kunstwissenschaft ken-
nen. Auf einem megalomanen Turmhaus ist eine
Schlacht entbrannt: offensichtlich die Folgen der ba-
bylonischen Sprachverwirrung.
Besonders interessant sind ein grösserer und ein
kleinerer Skizzenblock, die von Giacometti um
1925/26 verwendet wurden und seinen Aufbruch zut
Avantgarde-Kunst dokumentieren. Als Alternative
zum freien Künstlertum scheint in sorgfältig trocke-
nen, mit dem Lineal gezogenen Aufrissen von kon-
ventionellen Monumenten kurz eine Zukunft als
kunsthandwerklicher Grabstein-Bildhauer auf. Die
Akte sind nun grossformig stilisiert, vermögen aber
die Aufmerksamkeit nur noch mit Mühe zu fesseln.