Full text: Jahresbericht 2000 (2000)

holt festgehalten - auch weiter hinten im selben Heft. 
Ob es wohl auch dort üblich war, die Hefte gelegent- 
lich zur Kontrolle einzusammeln? Ebenso reizvoll 
sind die Aufsatzhefte, in denen sich die raschen Fort- 
schritte Albertos in der deutschen Sprache verfolgen 
lassen. Auch hier gibt es, meist in farbiger Tusche, 
zahlreiche Vignetten zu den behandelten Themen. 
Die Abenteurer ist ein kleines Drama mit spanischen 
Haudegen, friedlicher geht es bei den schmuckreichen 
Kopfbedeckungen aus aller Welt zu. Und tatsächlich fin- 
det sich hier der Aufsatz über das Thema Ein Bild aus 
Hermann und Dorothea, dessen Abfassung er in einem 
Brief an Lucas Lichtenhan wortreich beschreibt, mit 
den wenigen Sätzen Text und einem sorgfältig ausge- 
führten Aquarell der Szene unter dem Birnbaum. In 
dem Aufsatz Wie ich zum ersten Mal nach Hause kam 
griff er passenderweise die friesartige Dekorationswei- 
se auf, die Giovanni bei der Illustration der Engadiner 
Märchen von Bundi verwendete. In den hinteren Sei- 
ten dieser Hefte und in einem kleinen Notizheft 
bringt sich der sechzehnjährige Bengel mit alterspezi- 
fischen Boxkämpfen, Mänaden und dergleichen zur 
Geltung. 
Später hat Alberto immer wieder erzählt, wie er in 
seiner Jugend alles darstellen konnte und wie sich die- 
se Sicherheit plötzlich und schmerzhaft verlor. Zwei 
Skizzenblöcke aus seiner Studienzeit in Genf im Win- 
ter 1919/20, aus der wir bisher kaum etwas kannten, 
dokumentieren diesen Verlust und die Schwierigkei- 
ten, denen er damals ausgesetzt war. Die Zeichnungen 
— erste Akte, Szenen aus Dancings und von Jahrmärk- 
ten - wirken merkwürdig flau, ja nachlässig dilettan- 
tisch; nach am überzeugendsten wirken ein paar Kopf- 
studien. Selbst die Landschaften, darunter eine Sonne 
über Hügeln und einen Blick von der Oschwand, wo 
er seinen Paten Cuno Amiet besuchte, beschränken 
sich auf wenige, zusammenhangslose Striche. Noch 
stets mischt sich pubertär Triebhaftes ein, Cowboy- 
Szenen, ein von der Südsee träumender Kopf. 
Die Reisen nach Italien, im Mai 1920 mit dem Va- 
ter an die Biennale mit der Entdeckung Tintorettos 
und Giottos und im Herbst nach Rom, wo er bis in 
den Sommer 1921 bei Verwandten wohnte, boten 
neue Anregungen. In Florenz kauft er sich ein gross- 
formatiges Skizzenbuch und beginnt nach ägypti 
schen Reliefs und Skulpturen zu kopieren, darunter 
eine Portraitbüste, «die erste Plastik eines Kopfes, die 
mich lebensähnlich dünkte». Weitere Kopien macht eı 
nach Fresken, Figuren aus Andrea da Firenzes allego- 
rischer Darstellung der Theologie des Thomas von 
Aquin in der Spanischen Kapelle bei Santa Maria No- 
vella, nach der berühmten Kanefore aus Raphaels 
Borgobrand. Er versucht antike Szenen, vielleicht die 
Opferung Iphigeniens und Orest vor Iphigenie in Tauris 
u.a., zu komponieren ohne zu überzeugenden Resul- 
taten vorzustossen. 
Ein kleines Skizzenbuch aus der ersten Zeit in Paris 
schliesst im Charakter an die Hefte aus Genf an: 
flüchtige Akte, Szenen in Cabarets, Kopfstudien, dar- 
unter Selbstbildnisse. Die Fortschritte erscheinen ge- 
ring und lassen die anhaltenden Schwierigkeiten er 
kennen; schwer denkbar, dass die bekannten meister 
haft analytischen Aktzeichnungen bereits in dieseı 
Zeit einsetzen. Merkwürdigerweise hält Alberto den 
Blick über den Tuilerien-Garten zur Place des Pyrami- 
des fest, wo er 1938 von einem Auto angefahren wird 
Er arbeitet an den in Italien begonnenen altgriechi- 
schen Szenen und an einer Darstellung des Tanzes um 
das Goldene Kalb mit dem die Gesetztafeln zer 
schmetternden Moses weiter. Mehrere Seiten füllt eı 
mit schematischen Monumentalarchitekturen mit 
winzigen Menschen, wie wir sie bereits aus Rand- 
zeichnungen im Handbuch der Kunstwissenschaft ken- 
nen. Auf einem megalomanen Turmhaus ist eine 
Schlacht entbrannt: offensichtlich die Folgen der ba- 
bylonischen Sprachverwirrung. 
Besonders interessant sind ein grösserer und ein 
kleinerer Skizzenblock, die von Giacometti um 
1925/26 verwendet wurden und seinen Aufbruch zut 
Avantgarde-Kunst dokumentieren. Als Alternative 
zum freien Künstlertum scheint in sorgfältig trocke- 
nen, mit dem Lineal gezogenen Aufrissen von kon- 
ventionellen Monumenten kurz eine Zukunft als 
kunsthandwerklicher Grabstein-Bildhauer auf. Die 
Akte sind nun grossformig stilisiert, vermögen aber 
die Aufmerksamkeit nur noch mit Mühe zu fesseln.
	        
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