dem halbnaiven Gruppenbildnis zur silbernen Hoch-
zeit der Eltern merkwürdig gesichtslos.” Nach dem
modellierten Selbstbildnis von 1925 verschwinden die
.ndividuellen Züge in kubistoiden Konstruktionen
und surrealistischen Objekten, in denen er sich ge-
legentlich selbst erkennt.“ 1935 aber kehrt er zur
Wiedergabe der Wirklichkeit zurück und nun zeichnet
er wieder mehrere Selbstbildnisse.” Eines gravierte er
auf die letzte avantgardistische und am stärksten ab-
strahierte Plastik, den Cube, und öffnet so diesen kri-
stallinen Block auf ein selbstreflexives, lebendiges In-
neres, wie er es in seinem ganzen späteren Werk reali-
sieren will.” Das letzte gemalte Selbstbildnis entsteht
um 1947, zur Zeit der Ausbildung des reifen maleri-
schen Stils.” Ein paar Mal zeichnet er sich noch
selbst,” sonst aber vergewissert er sich nun seiner Exi-
stenz in der sehenden, antwortenden Begegnung mit
dem Anderen, dem Mitmenschen, dessen Lebendig-
keit er in seinem phänomenologischen Realismus er-
fassen will.
Christian Klemm
ı Dazu Perry Chapman: Rembrandt’s Self-Portraits, Princeton 1990.
2? Dazu die eingehende Studie von Jura Brüschweiler: Ferdinand Hod-
ler. Selbstbildnisse als Selbstbiographie. Ausst.Kat. Basel 1979, das lachende
Selbstbildnis (1873, Nr.3) befindet sich im Museum Reinhart am Stadt-
garten in Winterthur. - Allgemein zum Selbstbildnis im 19. und 20.
Jahrhundert vgl. die Aufsätze von Wilhelm Schlink und Oskar Bätsch-
mann in Bildnisse. Die europäische Tradition der Portaitkunst. Freiburg i. Br
1997.
3 Das früheste Selbstbildnis, das wir kennen, ist eine schülerhaft um
Korrektheit bemühte Zeichnung, um 1911, das nächste, bereits eigen-
ständig und sehr sorgfältig ausgeführt, zeigt ihn mit einem übergrossen
Hut, wie Hermann im Gespräch mit der Mutter unter dem Birnbaum
‚Reinhold Hohl: Alberto Giacometti. Eine Bildbiographie. Ostfildern
1998, Abb. S. 12 resp. 18, als von 1916; zu dem Bild aus Hermann und
Dorothea unten Ausst.Kat. Zürich 1990, S. 95-97) - Zu dem lachenden
Selbstbildnis mit Vogel hat Alberto mehrere Studien gemacht, ein Skiz-
zenblatt in der Giacometti-Stiftung (GS 151, Die Sammlung der Alberto
Giacometti-Stiftung, Zürich 1990, Nr. 101, Abb. S. 28), ein weiterer Ent-
wurf in Basel (Dieter Koepplin: Die Zeichnungen des scheinbar mühe-
‚osen Anfängers. In: Reinhold Hohl / Dieter Koepplin: Alberto Giaco-
metti. Zeichnungen und Druckgraphik. Niederteufen 1981, =Ausst.Kat. Tü-
bingen usw., S. 10-37, bes. S. 30, Abb. 5.21; Alberto Giacometti. Le dessin
4 l’zuvre. Ausst.Kat. Paris 2001, Nr. 2). Jean Clair (Vortrag in Paris 30.
März 2001) interpretierte das Nachziehen der definitiven Züge in die-
‚sem Blatt als «Maske» und postuliert ein Bezug zur Gorgonen-Maske.
aus der er psychoanalytisch weitere Schlüsse zieht. Es handelt sich viel-
mehr um einen Schritt in der Werkgenese, der in das Blatt der Giaco-
metti-Stiftung übertragen wurde. Noch eher ungeschickt wirkt die Aus-
ührung in Öl auf Schiefer (Privatsammlung, Alberto Giacometti.
1901-1966. Ausst.Kat. Wien 1996, Nr. 1 mit schräger Abbildung).
4 Privatsammlung Schweiz, Alberto Giacometti, Ausst.Kat. Berlin 1987,
Abb. S. 116, dort irrtümlich 1917 datiert.
5 Privatsammlung, Ausst.Kat. Wien 1996, Nr. 26: es handelt sich um
sine Vorarbeit für das grosse Selbstbildnis von 1921 und lässt im Ver-
zleich dessen Stilisierung erkennen.
5 Diese fünf Selbstbildnisse zusammen mit den beiden Zeichnungen
nach der Mutter in Alberto Giacometti. Ausst.Kat. Zürich 2001, Nr. 2-6,
11, 12.
7 Privatbesitz, Ausst.Kat. Paris 2001, Nr. 4, das korrespondierende Bild-
ais der Mutter im Ausst.Kat. Wien 1996, Nr. 5, datiert «5 Agosto 1918».
3 Basel resp. Alberto Giacometti-Stiftung, Ausst.Kat. Parıs 2001, Nr. 5
‚esp. 9, beide datiert «1918».
7 Sig. Kat. 1990, Nr. 68, Abb. S. 37. - Ein durch grossformige Abblät-
terungen leider stark entstelltes Selbstbildnis (Privatsammlung Schweiz),
frontal als Brustbild vor dem gleichen Hintergrund und malerisch ähn-
lich behandelt, dürfte etwas früher entstanden sein.
10 Vgl. Alberto Giacometti: Ecrits. Paris 1990, S. 72. In dem Skizzen-
auch der Italienreise, das neu in die Sammlung der Alberto Giacometti-
Stiftung gekommen ist, finden sich gezeichnete Kopien nach einem
igyptischen Kopf.
11 Privatbesitz, Ausst.Kat. Wien 1996, Nr. 22, Farbabb.
12 Privatsammlung Schweiz, Alberto Giacometti. Sculptures, peintures, des-
sins. Ausst.Kat. Parıs, Musee d'Art Moderne de la Ville de Paris, 1991.
Nr. 9.
13 Privatsammlung Paris, Ausst.Kat. Paris 1991, Nr. 8, irrtümlich 1921
Jatiert.
14 Das Gemälde wurde in den meisten grösseren Retrospektiven ge-
zeigt; essentielle Bibliographie im Ausst.Kat. Zürich 2001, Nr. 11; vgl.
ıllgemein über das Selbstbildnishafte und Spiegelbilder bei Donat Rüti-
nann in Alberto Giacometti. Stampa — Paris. Ausst.Kat. Chur 2000.
5. 61-66.
15 Neben den genannten Selbstbildnissen von 1918 und dem Portrait
jeines Mentors Lucas Lichtenhan (1918; Alberto Giacometti-Stiftung,
3S 128, Sle.Kat. 1990, Nr. 104) insbesondere das später «1922-23» da-
uerte Selbstbildnis, das dem Gemälde bereits nahe steht (Privatsamm-
ung Schweiz, Ausst.Kat. Paris 2001, Nr.14).
16 Vgl. den vorangehenden Aufsatz , insbes. GS 229, das fol. 3, 22, 35v
ınd 36 Selbstbildnisse zeigt, die noch dem Bild von 1921 nahestehen.
17 Brief an Pierre Matisse 1947, Ecrits 1990, S. 38f£.
18 Alberto Giacometti-Stiftung, GS 93, Sle.Kat. 1990, Nr. 125. Bereits
aus den beiden folgenden Jahren stammen wohl zwei weitere sorgfälti-
ze Selbstbildnis-Zeichnungen in Basel (Ausst.Kat. Paris 2001, Nr. 30,
dort auch die anderen Nr. 16 und 31) und in der Alberto Giacometti-
Stiftung (GS 96, Slg.Kat. 1990, Nr. 126).
19 Reinhold Hohl (Alberto Giacometti, Stuttgart 1971, S. 169) beschreibt
lie Gemälde von 1951 bis 1954 als «Spiegelräume», als «virtuelle Wirk-
ichkeit in einem nur ihnen vorbehaltenen imaginären Raum» hinter der
Wand, an der das Spiegel-Bild hängt.
20 Zur Theorie Victor J. Stoichita: Das selbstbewusste Bild: Vom Ursprung
der Metamalerei. München 1998.
Jie umfassende Materialsammlung von Ludwig Goldschneider: Fünf.
undert Selbstportäts von der Antike bis zur Gegenwart (Wien 1936) enthält