RONI HORN
STILL WATER
Roni Horn wurde 1955 in New York geboren und lebt
und arbeitet in New York. Sie ist seit den achtziger
Jahren durch ihre in der Form schlichten, aber in den
internen Beziehungsstrukturen komplexen Skulptu-
ren, Installationen und Zeichnungen international be-
kannt geworden. Immer mehr bildeten darin Worte
und Textfragmente wichtige Elemente, die oft auf ih-
ce intensive Beschäftigung mit der Dichterin Emily
Dickinson zurückgehen, aber auch ihre eigene schrift-
stellerische Tätigkeit dokumentieren.
Seit 1975 übt ein besonderer Ort auf diesem Plane-
ten für Roni Horn eine aussergewöhnliche Anzie-
hungskraft aus: Island, wohin sie regelmässig und ob-
stinat zurückkehrt. Hier findet sie nicht nur in unge-
wöhnlicher Eindringlichkeit und Reinheit jene Dua-
litäten vor, die ihre Arbeit wesentlich bestimmen —-
Natur und Urbanität, Identität und Auflösung, Raum
und Zeit, Sexualität und Tod - sondern auch eine Vor-
stellung von Zentrum: «Island ermöglicht mir den
Blick auf mich selbst, der nicht von sozialen Konven-
tionen vorgeprägt ist» (R.H.). In Island entstanden seit
Anfang der 90er Jahre wichtige photographische Zy-
klen sowie textliche Reflexionen, die in eindrück-
lichen Publikationen festgehalten sind, wie etwa Poo-
ling Waters von 1994.
Still Water (The River Thames for Example) ist eine Folge
von fünfzehn grossen Offset-Lithographien von 1999.
Roni Horn untersucht hier die Wasseroberfläche - im
Plural: Mal blau glitzernd, mal dumpf und elefanten-
näutig mit Falten und Schründen versehen, dann wie-
der golden und flüssig wie Honig oder als aufgeworfe-
ne Berglandschaft, den Eindruck von Hitze oder Ei-
seskälte vermittelnd, präsentiert sich das opake Wasser
der Themse in diesen Blättern wie Malerei. Sie verlei-
tet zur Lust an der reinen Anschauung - und bietet
darin Reichtum und Vielfalt. Die Reflexe imitieren zu-
weilen nicht nur Pinselstriche, sondern entsenden op-
tische Effekte wie Moireemuster oder spielen militäri-
sches Camouflage.
Es sind Beobachtungen, die sich decken können
mit einem jener Kommentare, die Roni Horn am un-
teren Bildrand platziert hat — nummeriert als Verweis
auf die winzigen Zahlen in den Bildern selber. In den
Texten lesen wir zum Beispiel auch Feststellungen wie
diese lakonische, dass Roni Horn nie, nicht einmal für
eine Sekunde in dieses Wasser tauchen möchte.
Gleichzeitig, auf einem andern Blatt steht dann: «The
Thames is me».. und auf wieder einem andern Blatt:
«The Thames is you»...
Der Titel Still Water spielt auf «Still life» (Stilleben)
aber auch auf die «Stills», die Standbilder der Film-
sprache an, die einen Moment einer im steten Fluss
sich entwickelnden Handlung einfrieren. So gesehen
sind die kleinen Zahlenverweise auf die Kommentare
wie die Nummern von Fussnoten in einen Textfluss
gesetzt. Die direkte Kommunikation mit der Betrach-
terin und dem Betrachter suchend, geben sie zugleich
ein weiteres, abstraktes Bild für einen (gedanklichen)
Fluss und dessen Verzweigungen ab.
Roni Horn hat neben eigenen Beobachtungen und
Bemerkungen auch Zitate, Anekdoten und Assozia-
tionen gesammelt. So finden sich Verweise auf Emily
Dickinson, auf Philosophen wie Heidegger, den Ro-
man «Herz der Finsternis» von Joseph Conrad oder
Kubricks Film «A Clockwork Orange». Wie ein Basso
continuo zieht sich das Bild und das Wort vom «Black
Water», vom «Schwarzen Wasser» durch alle Blätter.
Dabei wird augenfällig gemacht, dass Blackness die
tödliche Steigerung von Darkness ist: «Darkness re-
flects the sun / Blackness reflects nothing». Und dazu
wieder ein Zitat aus der Literatur (diesmal William
Faulkner): «Between grief and nothing, I will take
grieß»,
Wasser sei immer eine intime Erfahrung, schreibt
Roni Horn: «You can't separate yourself from it». Auf
die von ihr aufgeworfene Frage «is water sexy?», führt