Full text: Jahresbericht 2002 (2002)

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Nicht drei, s ondern vier Personen sind im Bild zu 
se hen, und möglicherweise ist der auf dem T -Shirt des 
jungen M annes abgebildete Charles Bukowski (*1920 
in Andernach, D, + 1994 in San Pedro, USA) sein heim- 
licher Held? Mit nüchternen K urzges c hichten aus dem 
Milieu der volltrunk en vom « american way of life» 
Abgekommenen wurde Bukowski Ende der sechziger 
Jahre zum literarischen Helden einer sich als Gegen- 
kultur verstehenden neuen Massenjugendkultur . Der 
Schriftsteller selbst allerdings war nic hts w eniger als 
ein Hippie; Bier war zeitlebens seine einzige Droge, 
und nicht Rockstars oder Jazzmusikern, s ondern 
Hugo Wolf und Brahms widme te er Texte. Die so 
vordergründig the matische Täto wierkuns t hat eben- 
falls eine Umcodierung erfahren. In der europäischen 
Tradition kennt man da uerhafte künstliche Pigmentie- 
rung lediglich zur Stigmatisierung von Kriminell e n 
oder als Ke nnzeichnung von Sklav en. Seit Cooks 
Reportagen von seinen Pazifikreisen eröffnete sich 
auch dem Abendla nd – zumindes t theoretisch – ein 
Verständnis des Tätowierens als «marker» von Ver- 
wandschaft, Status und sozialer Rolle. So mag es 
kommen, dass sich im späten 20. Jah r hundert das 
Kokettieren mit der Scham, die im Abendland unter 
jedem T attoo steckt, vielen westlichen Jugendlic he n 
als Zeichen der Zugehörigkeit zu einer Gruppe s ymbo- 
lischer Rebellen anzubiete n scheint. Sinnigerweise ist 
auf unserem Bild das Mädchen, welches allenfalls 
pazifischer Herkunft sein könnte, nicht tätowiert, ganz 
im Unt erschied zu den beiden anderen Protagonisten. 
Das Spiel mit Zeichen der Zugehörigkeit und des 
Ausschlusses, äs thetischen Indikato r en sozialer Ver- 
werfungen, bildet gewissermassen Jeff Walls künstle- 
rische B a sis operation. Walls Bilder tun und untersu- 
chen zugl eich, was ein bedrucktes Kleidungsstück 
oder ein tätowierter Körperteil leisten: Die Weisen der 
V erbildlic hung und V ers innlic hung von Sozialem sind 
das Mat erial, mit dem der Künstler arbeitet. Damit 
dies auch den Kuns t gebildet en unter den Betrachtern 
nicht entgeht, ist die Form als Quellcode oft mit the- 
m atisch. So erzähl t uns hier der etwas rhapsodische 
Verschnitt von Giorgione, Mane t, Gauguin und Wood- 
stock vom jähen Fall (oder dem tr iumphal en Aufstieg) 
aristokratischer Bukolik: über grossbürgerliches Pick- 
nick bis hin zur in den späten sechziger Jahren einse t- 
z enden de mons trativen Besetzung öffentlicher Grün- 
anlagen. 
Nicht zufällig verwendet Wall dabei ein aus dem 
öffentlichen Raum bekanntes, von der kapitalistischen 
Produktewerbung entwick el tes Massenmedium: 
Gros sbildd ias in Leuchtkästen wur den zuerst in den 
fünfziger Jahren des l etzten Jahrhunderts von der 
Werbeindustrie benutzt. Man s etzte sie ein, um kom- 
merziellen Plakaten auch in Unterführungen, U-Bah n- 
Korridoren und sonstigen schlecht beleuchteten 
Zonen verstärkte Präs enz zu verschaffen. Wall ent- 
deckte und perfek ti o nierte diese T echnik für seine 
fotografischen Tableaus. Das rückwärtig durch Neon- 
röhren erleuchtete Farbdiapositiv erzeugt ein kühles 
und präzis es Bild. Die kristalline f otografische Spra- 
che, fernab von allem Vagen, Diffusen und in vorder- 
gründiger Weise atmosphärisch St immungs haften, 
e rlaubt Wall die Wiederbel e bung einer in der moder- 
nen Kunst alls eits völ lig kompromittierten und verru- 
fenen Gattung: des allegorisierenden Genrebildes im 
Geis te des frühbürgerlichen Natura lismus . 
JEFF WALL 
TATOOS AND SHADOWS, 2000
	        
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