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Nicht drei, s ondern vier Personen sind im Bild zu
se hen, und möglicherweise ist der auf dem T -Shirt des
jungen M annes abgebildete Charles Bukowski (*1920
in Andernach, D, + 1994 in San Pedro, USA) sein heim-
licher Held? Mit nüchternen K urzges c hichten aus dem
Milieu der volltrunk en vom « american way of life»
Abgekommenen wurde Bukowski Ende der sechziger
Jahre zum literarischen Helden einer sich als Gegen-
kultur verstehenden neuen Massenjugendkultur . Der
Schriftsteller selbst allerdings war nic hts w eniger als
ein Hippie; Bier war zeitlebens seine einzige Droge,
und nicht Rockstars oder Jazzmusikern, s ondern
Hugo Wolf und Brahms widme te er Texte. Die so
vordergründig the matische Täto wierkuns t hat eben-
falls eine Umcodierung erfahren. In der europäischen
Tradition kennt man da uerhafte künstliche Pigmentie-
rung lediglich zur Stigmatisierung von Kriminell e n
oder als Ke nnzeichnung von Sklav en. Seit Cooks
Reportagen von seinen Pazifikreisen eröffnete sich
auch dem Abendla nd – zumindes t theoretisch – ein
Verständnis des Tätowierens als «marker» von Ver-
wandschaft, Status und sozialer Rolle. So mag es
kommen, dass sich im späten 20. Jah r hundert das
Kokettieren mit der Scham, die im Abendland unter
jedem T attoo steckt, vielen westlichen Jugendlic he n
als Zeichen der Zugehörigkeit zu einer Gruppe s ymbo-
lischer Rebellen anzubiete n scheint. Sinnigerweise ist
auf unserem Bild das Mädchen, welches allenfalls
pazifischer Herkunft sein könnte, nicht tätowiert, ganz
im Unt erschied zu den beiden anderen Protagonisten.
Das Spiel mit Zeichen der Zugehörigkeit und des
Ausschlusses, äs thetischen Indikato r en sozialer Ver-
werfungen, bildet gewissermassen Jeff Walls künstle-
rische B a sis operation. Walls Bilder tun und untersu-
chen zugl eich, was ein bedrucktes Kleidungsstück
oder ein tätowierter Körperteil leisten: Die Weisen der
V erbildlic hung und V ers innlic hung von Sozialem sind
das Mat erial, mit dem der Künstler arbeitet. Damit
dies auch den Kuns t gebildet en unter den Betrachtern
nicht entgeht, ist die Form als Quellcode oft mit the-
m atisch. So erzähl t uns hier der etwas rhapsodische
Verschnitt von Giorgione, Mane t, Gauguin und Wood-
stock vom jähen Fall (oder dem tr iumphal en Aufstieg)
aristokratischer Bukolik: über grossbürgerliches Pick-
nick bis hin zur in den späten sechziger Jahren einse t-
z enden de mons trativen Besetzung öffentlicher Grün-
anlagen.
Nicht zufällig verwendet Wall dabei ein aus dem
öffentlichen Raum bekanntes, von der kapitalistischen
Produktewerbung entwick el tes Massenmedium:
Gros sbildd ias in Leuchtkästen wur den zuerst in den
fünfziger Jahren des l etzten Jahrhunderts von der
Werbeindustrie benutzt. Man s etzte sie ein, um kom-
merziellen Plakaten auch in Unterführungen, U-Bah n-
Korridoren und sonstigen schlecht beleuchteten
Zonen verstärkte Präs enz zu verschaffen. Wall ent-
deckte und perfek ti o nierte diese T echnik für seine
fotografischen Tableaus. Das rückwärtig durch Neon-
röhren erleuchtete Farbdiapositiv erzeugt ein kühles
und präzis es Bild. Die kristalline f otografische Spra-
che, fernab von allem Vagen, Diffusen und in vorder-
gründiger Weise atmosphärisch St immungs haften,
e rlaubt Wall die Wiederbel e bung einer in der moder-
nen Kunst alls eits völ lig kompromittierten und verru-
fenen Gattung: des allegorisierenden Genrebildes im
Geis te des frühbürgerlichen Natura lismus .
JEFF WALL
TATOOS AND SHADOWS, 2000