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ler da mals mit dem Thema des «Spiels ». Gena uer
gesa gt unte rsuchte er die Frage, ob dem anscheinend
nach unvorhersehbaren R egeln funktionierenden
Syst em nicht doch gewisse logische Gesetzmässigk ei-
ten zugrunde liegen. Eine Unt ersuchung, die Tyson mit
der Frage nach der ebenfalls kaum mit berechenbaren
Kriterien zu erklärenden Entstehung von Kunst in Ver-
bi ndung brachte. Als Resultat diese r Gedankenexperi-
mente entstand das Werk « Random Tangler», das
Tyson noch im gl eichen Jahr von der Skizze in eine
model lhafte Anordnung umse tzte. Bei dies er Arbeit
handel t es sich um ein Spiel, das Anweisungen für die
Pr oduktion von Kunstwerken lief ert. Be liebig viele
Akteure können dabei mitspielen und ihre «Kunstwer-
ke» nach vorgegebenen A nl eitungen herstellen. Da die
Vorgaben jedes Mal in einer Mischung von Zufa ll und
Logik neu definiert werden, entstehen Kunstwerke in
allen möglichen Stilen und Erscheinungsformen.
Indem Tyson die Produktion der Arbeiten den Mitspie-
lern überlässt, führt er das von W arhol formulierte
Credo «I think everybody should be a machine» einen
entscheidende n Sc hritt weiter. Nicht nur fehlt die indi-
viduelle künstlerische Handschri ft, es sind auch meh-
rere, a nonyme Kunstproduzenten beteiligt. Das Sub-
vers ive dieser Arbeit liegt denn auch darin, dass alles,
was nach den Prinzipien dieses Spiels entsteht, Teil
von Keith Tysons Werk ist – obwo hl er es gar nicht sel-
ber pr oduziert.
Die angekaufte Zeichnung «Game The ory» gibt
E inblick in die V orber eitung zur Arbeit «Random Tang-
ler». Tyson spielt darin ve rschiedene Versuchsanord-
nungen durch und zeigt uns in der Mitte des Blattes
eine abstrahierte Dars te llung der M aschine, die die
Kriterien für die von den Mitspielern pr oduzierte n
Kunstwerke definiert. Neben dies en abstrakten Über-
l egungen zum Thema «Spiel» f inden sich auch Notize n
zu Anrufe n und T elefonnummern von Personen, die
sich in dieser Zeit beim Künstler geme ldet haben. Der
Grabe n, der sich zwischen den hochkomplexen Frage-
stellungen und den flüchtigen Notaten öffnet, lässt
bereits eine gewisse Ironie spüren. Auch die vermeint-
lich gefundene Systematik in Spiel und Kunst ist nur
ironisch gegebe n. Denn der Versuch, die Unvorherseh-
barkeit des Spiel s auf eine berechenbare Formel zu
reduzieren, muss scheitern. Dass diese Idee des
Scheiterns und die Unmöglichk eit, eine definitive Ord-
nung zu schaffe n, in Tysons Werk immer präse nt ist,
macht aus dem eigentlich «traditi o nell en» Künstler,
der sich mit den Mys terien der Welt beschäftig t, einen
ungemein heutigen, zeitgenössischen Künstler . Sein
Werk ist geprägt von einer spürbaren Sehnsucht, die
Komplexität der Welt zu erklären. Doch es zeigt sich,
dass nur unzulängliche Beschreibungen erreicht wer-
den können, die ausschnittartig das Ganze beleuchten
– nicht ohne Paradoxien. Kunst ist für Tyson «tolerant
of contradict ion s». So sind Logik und Unvorhersehbar-
keit, Reales und Imaginäres in einem gegeben und
eröffnen durch ihr Zusammentreffen ganz neue Mög-
lichkeiten. Mirjam Varadinis