Full text: Jahresbericht 2003 (2003)

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BARTOLOMEO MONTAGNA 
KREUZTRAGENDER CHRISTUS 
Warum sind uns Bilder so wichtig, dass wir sie so 
intens iv betrachten, studieren, uns in sie versenken? 
Dass wir sie mit grossem Aufwa nd sammeln, erhalten, 
ausstellen und ihnen ganze Häuser baue n? Zunächst 
fas ziniert uns meist die spannungsvolle Sinnlichk eit 
der Oberfläche, die di chte Gestaltung der Formen und 
Farben, doch bald tritt dies zurüc k in die damit evo- 
zierten psychischen Intensitäten, die in unauslotbare 
geistige Rä ume, in vergangene Zeite n führ en. Eine 
wic htige his torische Wurzel dies er Si nn-Ko nzentrat e 
haben wir zunächs t in der chri s tlichen T radi tion zu 
suchen, denn diese Vorliebe ist etwas spezifisch 
Abendländisches. Die Abwendung von der k örper- 
betone nden antiken Skulptur gehört zu der neuen 
Geistigkeit des Christentums. Ob überhaupt bildhafte 
Objekte zuzulassen und welche V er ehrung ihnen zu- 
komme, führte im byzantinischen Osten zum Bilder- 
streit und zur Ikone. Für den Westen waren ebe nso wie 
in vielen anderen Fragen des kirchlichen Brauchs die 
E mpf ehlungen Papst Gr egors des Grossen (590– 604) 
massgeblich. Er empf ahl die V erwe ndung von Bildern 
und unte rschied sie nach ihren Aufgaben: das Kultbild, 
durch das in der Liturgie die repräsentierte Person 
verehrt wird, das His torienbild, das den nicht Schri ft- 
kundigen die heilige Geschichten erzählt, und das der 
Meditation dienende 
Andachtsbild. 1 Auch 
wenn es sich 
hier primär um funktiona l e Bestimmungen handelt 
und eine hieratis c he Madon nenfi gur oder eine volks- 
reiche Kre uzigung s szene ebenfalls die Andacht för- 
dern kann, so prägte n sich die Zwecke doch auch in 
den formalen Eigenheite n der Gattungen aus. In der 
Sa mmlung des Kuns thaus es gehören die meisten 
mittelalterlichen Skulptur en in die erste Kategorie, die 
Altartafeln in die zwe ite, während sich in dem kleinen 
Täfelchen aus dem Umkreis der Manessischen Hand- 
schrift (um 1320) ein ungew öhnliches , der privaten 
Versenkung diene ndes Objekt aus dem Beginn der 
s pätmittela lte r lichen Blüte zeit des Andachtsbildes 
erhalten hat. Vor allem in diese m Bereich erfo lgte die 
psychische Vertiefung der Bildbetrachtung und eine 
e ntspr echende V erdichtung des Bedeutungsge halts. 
Das neu erworbene Gemälde zeigt dies beispielhaft in 
der V erknüpfung der wichtigsten T raditionen und lässt 
zugleich erkennen, dass man hier an einem Übergang 
von p rimär der Devotion dienenden Objekte n zu neu ar- 
tigen, ebens o sehr um ihrer künstlerischen Qualitäten 
ge schätzten Werken s teht. 
Während im Früh- und Hochmittel alte r die Fröm- 
migkeit stark vom liturgischen Vollzug geprägt war, 
s etzte mit Bernhar d von Clairvaux (1091–1153) zu- 
nächst im Bereich der Klöster, mit Franz von Assisi 
(1181–1226) aber breit in Laienk r eise ausstrahlend 
eine indi viduel l gemütshafte religiöse Vertiefung 
ein.2 
Neben dem Geschehe n um die Geburt Christi, die 
Inkarnation Gottes, galt die Betracht u ng vor allem 
dem L eiden und der Passion Jesu: im miterlebenden 
N achvoll zug des Opfergangs des Gottes sohne s er- 
l angte der Gläubige Ante il am Erlösungswerk. Bald 
erkannten die Seelsorger, dass die Bilder gerade 
Laien oder theologisch weniger gebildete n Nonnen 
eine wertvolle Stütze der meditativen Betrachtung 
sein konnten. Dabei kam es w eniger auf die erzähle- 
rische Breite der Darstellung, die auch leicht ablenkt, 
s ondern auf die konzentrierte V ertiefung in die heilige 
Person an. In den Dominikanerinnenklöstern am Ober- 
rhein, z.B. in Katharinenthal, kam es im 14. Jahrhun- 
dert zu einer ersten Hochblüte der Bildmeditation, 
angeregt von der Mystik Meister Eckharts und vor 
allem se ines weniger spekul ativen, aber innigeren 
Schülers Suso. Ausgangspunkt waren oft affe ktiv 
anrührende Skulpturen, wie die berühmten Christus- 
Johannes-Gruppen, die durch die äussere Anschau- 
Hinweise auf einige Neuerwe r bungen
	        
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