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BARTOLOMEO MONTAGNA
KREUZTRAGENDER CHRISTUS
Warum sind uns Bilder so wichtig, dass wir sie so
intens iv betrachten, studieren, uns in sie versenken?
Dass wir sie mit grossem Aufwa nd sammeln, erhalten,
ausstellen und ihnen ganze Häuser baue n? Zunächst
fas ziniert uns meist die spannungsvolle Sinnlichk eit
der Oberfläche, die di chte Gestaltung der Formen und
Farben, doch bald tritt dies zurüc k in die damit evo-
zierten psychischen Intensitäten, die in unauslotbare
geistige Rä ume, in vergangene Zeite n führ en. Eine
wic htige his torische Wurzel dies er Si nn-Ko nzentrat e
haben wir zunächs t in der chri s tlichen T radi tion zu
suchen, denn diese Vorliebe ist etwas spezifisch
Abendländisches. Die Abwendung von der k örper-
betone nden antiken Skulptur gehört zu der neuen
Geistigkeit des Christentums. Ob überhaupt bildhafte
Objekte zuzulassen und welche V er ehrung ihnen zu-
komme, führte im byzantinischen Osten zum Bilder-
streit und zur Ikone. Für den Westen waren ebe nso wie
in vielen anderen Fragen des kirchlichen Brauchs die
E mpf ehlungen Papst Gr egors des Grossen (590– 604)
massgeblich. Er empf ahl die V erwe ndung von Bildern
und unte rschied sie nach ihren Aufgaben: das Kultbild,
durch das in der Liturgie die repräsentierte Person
verehrt wird, das His torienbild, das den nicht Schri ft-
kundigen die heilige Geschichten erzählt, und das der
Meditation dienende
Andachtsbild. 1 Auch
wenn es sich
hier primär um funktiona l e Bestimmungen handelt
und eine hieratis c he Madon nenfi gur oder eine volks-
reiche Kre uzigung s szene ebenfalls die Andacht för-
dern kann, so prägte n sich die Zwecke doch auch in
den formalen Eigenheite n der Gattungen aus. In der
Sa mmlung des Kuns thaus es gehören die meisten
mittelalterlichen Skulptur en in die erste Kategorie, die
Altartafeln in die zwe ite, während sich in dem kleinen
Täfelchen aus dem Umkreis der Manessischen Hand-
schrift (um 1320) ein ungew öhnliches , der privaten
Versenkung diene ndes Objekt aus dem Beginn der
s pätmittela lte r lichen Blüte zeit des Andachtsbildes
erhalten hat. Vor allem in diese m Bereich erfo lgte die
psychische Vertiefung der Bildbetrachtung und eine
e ntspr echende V erdichtung des Bedeutungsge halts.
Das neu erworbene Gemälde zeigt dies beispielhaft in
der V erknüpfung der wichtigsten T raditionen und lässt
zugleich erkennen, dass man hier an einem Übergang
von p rimär der Devotion dienenden Objekte n zu neu ar-
tigen, ebens o sehr um ihrer künstlerischen Qualitäten
ge schätzten Werken s teht.
Während im Früh- und Hochmittel alte r die Fröm-
migkeit stark vom liturgischen Vollzug geprägt war,
s etzte mit Bernhar d von Clairvaux (1091–1153) zu-
nächst im Bereich der Klöster, mit Franz von Assisi
(1181–1226) aber breit in Laienk r eise ausstrahlend
eine indi viduel l gemütshafte religiöse Vertiefung
ein.2
Neben dem Geschehe n um die Geburt Christi, die
Inkarnation Gottes, galt die Betracht u ng vor allem
dem L eiden und der Passion Jesu: im miterlebenden
N achvoll zug des Opfergangs des Gottes sohne s er-
l angte der Gläubige Ante il am Erlösungswerk. Bald
erkannten die Seelsorger, dass die Bilder gerade
Laien oder theologisch weniger gebildete n Nonnen
eine wertvolle Stütze der meditativen Betrachtung
sein konnten. Dabei kam es w eniger auf die erzähle-
rische Breite der Darstellung, die auch leicht ablenkt,
s ondern auf die konzentrierte V ertiefung in die heilige
Person an. In den Dominikanerinnenklöstern am Ober-
rhein, z.B. in Katharinenthal, kam es im 14. Jahrhun-
dert zu einer ersten Hochblüte der Bildmeditation,
angeregt von der Mystik Meister Eckharts und vor
allem se ines weniger spekul ativen, aber innigeren
Schülers Suso. Ausgangspunkt waren oft affe ktiv
anrührende Skulpturen, wie die berühmten Christus-
Johannes-Gruppen, die durch die äussere Anschau-
Hinweise auf einige Neuerwe r bungen