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ANDRÉ BRETON «DOSSIER DADA»
Dadas Aktua lität besteht darin, dass es sich hier
um die erste küns tl erische Bewegung handelt e, wel-
che erkannte, dass der Künstler unter den Bedingun-
gen mas se nmedial vermittelter Kommunikation diese
nicht nur in Rechnung zu stellen, s ondern offensiv zu
operationalisieren hat. Ball, Serner, Duchamp und
Br eton wissen, dass eine gelunge ne Provokation all ei-
ne wenig bedeutet. Der erfolgreiche dadais tische Akt
ents teht erst in der F usion von Provokation und Reak-
tion: Erst der entrüstete Zeitungsk o mmenta r macht
den Dada-Abend zum vollends gel ungenen, an den
sich weitere Aufr egungen anschliessen lassen. Wenn
man dies s ieht, wird auch klar, dass letztlich die Pres-
sereaktionen auf dadaistische Aktionen einen integra-
len Teil derselben darstellen. Wenig beka nnt, oder
zumindes t nicht dokumentierbar, war bislang, mit
welch kühl kalkulierender Systematik sich André Bre-
ton, Zentralfigur von Dada Paris und späterer Kopf der
surrealistischen Bew egung, diese Einsicht zu Nutze
machte.
Dass der Prophet des «lâchez tout!» seinerseits
ein grosser Sammler und Historiker s einer selbst
war, wusste man zwar lange, bevor im April 2003 in
Paris André Br etons Nachlas s zur V ers teigerung
gelangte. Bei dies er Gel egenheit kam auch ein eigen-
tümliches Objekt zum Vorschein, welches wir für
unsere Dada-Sammlung erwerben konnten. Es han-
delt sich um ein etwa 36 x 30 cm grosses und fast 20
cm dick es Album, in welches Breton von 1916 bis 1924
sämtliche ihn selbst betreffenden oder erwähnenden
Zeitungs- und Zeitschriftenartikel, die er sich offe n-
sichtlich von einer Agentur liefern liess, fein s äuber-
lich einklebte. All ein schon dies macht das Dos sier zu
einer einmaligen Q uelle für die Forschung zur Ge-
schichte von Dada Paris und zum Überg ang vom
Dadaismus zum Su rrealism us. Recht eigentlich zu
einem Werk sui generis – der grössten Dada-Co llage
oder besser Me ta-Dada-Col lage überhaupt – wird das
Dos sier dadur ch, dass Breton immer auch sämtliche
Originaldokumente, welche die in den Presseberichten
kommentierten dadaistischen Aktivitäten betreffen
(Einladungskarten, Flugblätter, Plakate, Ze itschr iften,
Brief e usf.), in das Album gl eich mit hinein klebte.
In dem Konvolut findet sich somit eine fast lü-
ckenlose Chr onik derjenigen Ereignisse, welche von
Bretons, Soupau lts und Ara gons erster Schwärmer e i
für Tristan Tzaras exotische Zürcher Dada-A ktivi tä ten,
über die erste intens ive Phase der Pariser Dada-Agita -
tione n im ersten Halbjahr 1920, hin zum zweiten An-
lauf der Pariser Dada-Bew egung von J anuar bis
So mmer 1921 (Prozess Barrès), schliesslich zum
Bruch mit Dada und zu der Lancierung der «surrealis-
tischen Re vo lution» führten. Und das Album enthä lt
mithin sehr viele, höchs t seltene Dokumente zum
inte rnational e n und speziell zum Pariser Dadais mus,
wie etwa zahlreiche Nummern der Zeitschriften Dada,
M ytebe, 391, Ca ira, Le cœur à barbe, Revue Z, Bull etin
DADA, Dadaphone , Proverbe, Dadameter, Le futu-
risme , usf. Es fehlen weder Tristan T zaras Papillons
Dada, das sehr seltene Plakat zur Aus stellung von
F rancis Picabia in der Gal erie Dalamau in Barcelona
1922, das Pla kat zum Procès Barrès, Katalog und
Einladung zur Ausstellung von Max Ernst «au sans
pareil», Einladung und Briefbogen des Mouvement
DADA, Pla kate und Pamphlete zu den Pariser Dada
Festivals etc. etc. Wir werden das Dossier Breton und
die Zus ammenh änge, die es erschliesst, in einer klei-
nen Aus stellung im Herbs t 2005 eingehender erlä u-
tern. Tobia Be zzola