Andro Wekua wurde 1977 in Georgien geboren. Sein
Heimat ort Sochumi, einst ein id yl lisches Städtchen an
der Küste des Schwarzen Meers und zu Ze iten der
Sow jetunion einer der beliebtesten Badeorte für Par-
teifunktionäre, ist heute Sperr gebiet. Wegen politi-
scher Wirr en musste Wekua bereits als Dreizehnjäh-
riger aus seiner Heimat fliehe n, doch in s einem Werk
tauchen immer wieder E rinnerungen an seine Kind-
heit in Georgien auf – so auch in der vom Kunsthaus
letztes Jahr angek auften Ze ic hnungsgrupp e «Ohne
Titel» (20 01). Darin begegnet man wiederhol t einem
Bild von zwei kleinen Jungen. Schön frisiert und sau-
ber ange zogen, st ehen sie da und lächeln in die Kame-
ra. Offensichtlich sind es Geschwister, doch genauere
Details zur Bestimmung der Personen fehlen. Die
Zeichnung ist stark r eduziert und lebt von vagen
Andeutungen. Gerade in ihrer absichtlic he n Offenheit
erzäh lt sie vielerlei Geschichten. Eine davon ist, dass
es sich bei den beiden Jungen um Andro Wekua und
se inen Bruder handel t, die der Künstler nach einem
Foto aus s einer K indheit gezeichnet hat. Doch das
Unbes timmte der Zeichnung ist charak teristis c h für
Wekua. Er will keine eindeutige Geschichte erzählen,
so ndern viel mehr ein Setting für ganz unt erschiedli-
che Inhalt e bereitstellen. Dabei vermischt er Fiktion
und Re alität und lässt sie zu einem geheimnisvoll en
Ort der E rinnerung zus ammenw achsen , der etwas
von einem verwunschenen Paradies hat.
Neben Erinnerungen aus Georgien verarbeitet
Wekua auch Bilder der westlichen Medien- und Kon-
sumwelt. Insbesondere in se inen f rühen Zeichnungen
im Format A4, zu denen auch die Neuerwerbungen
des Kunsthauses gehören, lässt er sich von der bun-
ten Unterhaltungsindustrie inspirieren. Bilder von
Filmstars und Figuren aus Videogames tauchen auf,
aber auch schnell e Autos oder sexy Frauen. Als Wekua
vor acht Jahren in die Schweiz kam, l ernte er diese so
anders arti ge Bildwel t kennen. Dama ls wo llte er – wie
er selbst sagt – seine Vergangenheit hinter sich lassen
und vergessen. F a sziniert von den farbigen Bildern
seiner neuen Umgebung, hält er diese mit schnellem
Strich in Zeichnung e n fest. Pa rall el dazu entstehen
vage E rinnerungsbilder aus seiner Kindheit, doch
immer wiede r übe rschneiden sich die beiden schein-
bar völ lig konträren Sphär en und fügen sich collagen-
artig zu einem neuen Ganze n zusa mmen. Verbinden-
des Element bl eibt dabei die r eduzierte F ormens prac he
und das Offene der Aussage sowie eine bedrohlich
unheil volle Atmo sphär e, die unterschwellig immer
mitschwingt. Auch in der angekauften Zeichnungs-
g ruppe scheint das Brutal-Gefährliche regelmässig
unter der farbig-schönen O berfläche auf – sei es in
dem dicken Strich, mit dem Wekua be stimmte Teile
der Zeichnung scheinbar wüte nd durchstreicht, oder
sei es in roten Bluttropfen, die er an verschiedenen
Stellen über das Blatt kullern lässt.
Wekua schaff t unheimliche Szenerien – inzwi-
schen längst nicht mehr nur auf dem P apier, s ondern
auch in Form von Skulpturen oder raumumfassenden
Installationen. Gerade seine neuesten Arbeiten sind
düsterer und geschlossener als seine frühen Zeich-
nungen, doch wie zu Begi nn kreiert er mit seinen
Werke Orte, um die sich geheimnisvolle Geschichten
ranken und die gleichzeitig von Sehnsucht und grosser
Einsamkeit geprägt sind. Mirjam Varadinis
Die vom Kunsthaus angeka ufte Auswahl von 25 Ze ichn ungen und
Col lagen hat der Künstler für die Publ ikat ion im Miuze-Heft Nr. 1,
2001 ( heraus gegeben von Gia nni Jet zer), zusammengestellt. Wer
sich für das Heft interessiert, fi ndet mehr Informationen dazu unter
www .m iu ze.com.
ANDRO WEKUA 81