Full text: Jahresbericht 2005 (2005)

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sich die Kul tur en und Identitäten immer mehr anzuglei- 
chen scheinen, sich gleichzeitig aber die Ungleichheiten 
und Ausgrenzungen verstärken. Van Lieshout befragt 
stereotype Bilder aus den Medien, rückt Randgruppen 
ins Zentrum seiner Arbeit und thematisiert auch die 
Schattenseiten der Globalisierung – wie z.B. in der 
Arbeit «Lariam» (2001). Für diese Video-Arbeit reiste van 
Lieshout nach Afrika, um sich in Ghana von einem Rap- 
Lehrer das Rappen beibringen zu lassen. Als Textgrund- 
lage diente ihm der Beipackzettel des Anti-Malariamit- 
tels Lariam, das sich die lokale Bevölkerung meist gar 
nicht leisten kann. Gezeigt hat der Künstler dieses Video 
in einer überdimensionierten Lariam-Medikamenten- 
schachtel, die als Kino diente. Strassenkultur, westli- 
cher Kulturimport, soziale Ungerechtigkeit, Video und 
skulpturales Environment verbinden sich in dieser 
Arbeit zu einem Ganzen. Zudem wird deutlich, wie das 
oben erwähnte «ME,WE» auch auf einer weiteren Ebene 
für den Künstler grundlegend ist: nämlich im Sinne 
eines interaktiven Kuns tbegriffs. 
Erik van Liesho ut lebt in Rotterdam in einem 
Quartier mit einem sehr grossen Ausländerteil von 
insbes onders muslimischen Einwande r ern. Diese 
Umgebung fliesst oft in seine Arbeiten ein – sei es als 
Zeichnung oder Video. So z.B. in der 2003 an der Bien- 
nale in Venedig gezeigten Video-Arbeit «Respect» 
(2003 ) – sozusagen einem multikultur el l en Melodrama 
auf den Stras sen von Rotterdam, das zeigt, wie van 
Lieshout unter den marokkanischen Jugendlichen auf 
der Strasse einen Lover für seine n Bruder sucht. 
Homos e xualität und Ma c hismo -Kultur verbinden sich 
dabei zu einer irritierenden und explosiven Mischung. 
Auch in den neuesten Arbeiten ist ein sozial-poli- 
tischer Hintergrund deutlich spürbar. «Fatima» steht 
auf einer der Zeichnungen. Auf einer anderen sieht 
man, wie sich der Künstler als Selbstmordattentäter 
darstellt – wobei sein blonder Kopf frappant zu den aus 
den Medien bekannten Bildern kontrastiert. Geradezu 
als Kontrapunkt zu dieser Arbeit kann man das zweite 
Selbstportrait in dieser Serie sehen, wo sich der Künst- 
ler nackt auf einer Liege präsentiert. In Anlehnung an 
Sex-Annoncen schreibt er seinen Namen und seine 
Telefonnummer mit aufs Bild und kehrt damit die tradi- 
tionellerweise für Frauen verwendete Bildformel um. 
Video und Zeichnungen sind bei Erik van Lies hout 
immer eng verbunden. Es sind zwei parallele Aus- 
drucksweisen, die sich ergänzen und am Schluss oft 
zu einer ra umumfas senden Ins tal lation zusa mmenfü- 
gen. Die neu erworbenen Arbeiten entstanden im 
Umfe ld des Videos «Up!» (2005 ) – eines Films , in dem 
van Lieshout die Perspektive nach innen dreht und die 
Zuschaue r an einer fiktiven Psycho-Therapie teilhaben 
läs st. «The rapy» steht denn auch auf einem der Blät- 
ter. Auf einem anderen «I have my fear I am not my 
fear», wobei der Verdacht entsteht, dass sich der 
Künstler damit vor allem selber beruhigen möchte. 
Denn die gif tig-farbig e Kugel in seinen Händen scheint 
jeden Mome nt zu explodieren. In diesem Sinn lädt sich 
auch das vorhin erwä hnte Selbstportrait als Bomben- 
attentä ter plötzlich anders auf: es br ingt die Verletz- 
lichkeit des Künstlers zum Ausdruck. 
Trotz dies er existentiellen Mo mente hat die ganze 
Serie auch etwas Ir onisches . Denn sie führt einerseits 
das Cliché vom Künstler ad absur dum, der aus seinem 
Innern genial e Werke schafft, und gibt gleichzeitig 
auch einen Kommen tar ab zu der heute sehr beliebte n 
Selbstentblössung im F ernse hen und Internet. 
Wie schon in den früheren Zeichnung e n, bl eibt 
auch in dies en Werken der kräf tige, ausdrucksstarke 
Strich, verbunden mit einer comicartig e n Bildsprache, 
ein charakteristisches Merkmal. Doch in neuester Zeit 
spielt auch die Farbe eine wic htige Rolle. Van Lies hout 
wurde ursprünglich als Maler aus gebildet und dies er 
Hintergrund ist in den neuesten Werken deutlich spür- 
bar. 
Miriam Varadinis
	        
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