Full text: Jahresbericht 2005 (2005)

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... keine Distanz mehr 
(wie schön war die Nähe zur Zeit der Distanz!), 
keine Erscheinung, keine Dimension mehr .... 
Jean Baudrillard in «Subjekt und O bjekt fraktal», 
über den Verlust von Raum und Zeit. 
Der Sinn der Kunstwerke kann sich zweifellos nur ent- 
falten, wenn sie ric htig wahr gen ommen wer den kön- 
nen. Doch diese W ahrnehmung umfasst nicht nur das 
Ma teriell e, die naturwissenschaftlich de terminierte 
Ma terialität eines Kunstwerks, sondern auch die Aus- 
druckswerte und inhaltlichen Qualitäten e benso wie 
die vi e lfältigen Bezüge zwischen dies en beiden Polen. 
Diese Problematik spitzt sich in der Entfaltung der 
illusionistischen Tiefe zu, wie sie die meisten Gemä lde 
seit dem 15. Jahrhundert anstreben; jedes ist als ein 
Ex periment über die Kaus alität en zwischen Licht und 
Raum zu betrachten. 
In unsern beiden Ausstellungen «Gemä ldeober- 
fläche und Bildwir k ung» 1996 und «Die Ölgemälde, 
ihre Technik und ihre Erhaltung» 2005 haben wir diese 
Kernfrage an mehreren Beispielen dargelegt und dabei 
aufgeze i gt, welche Zerstörungen an der Subs tanz der 
Kunstwerke entstehen, wenn diese aus der be schränk- 
ten Sicht unserer E poche lediglich als Konglomerat 
von Material verstanden werden. Bereits eine als 
gering fügig e rachtete Massnahme, wie die Reinigung 
eines Gemäldes, kann die Werke und die W ahrnehm- 
bark eit von Raum und Licht e ntscheidend beinträch- 
tigen. 
Im F o lgenden wollen wir aufzeichnen, welche 
Re s taurierungsmode n in den letzten Jahrzeh nten 
gepfl egt wurden, und wie wir ver sucht habe n, Kunst- 
werke zu behandeln, um die von den Künstlern beab- 
sicht igten Wirkungen zu erhalt en und zur Geltung zu 
b ringen. 
Res taur atorische Behandlung der Gemälde 
Gemälde auf Lei nwand 
In der Behandlung schadhafter Leinwä nde standen 
sich in den sechziger Jahren zwei Richtungen gegen- 
über. Die nach Italien und Frankreich ausgerichteten 
W erks tätten in Europa s etzten die handw erklic he 
Kleisterdoublierung ein, während die sich an eng- 
lischen Praktiken Orientierenden nur Wachsdoublie- 
rungen gelt en liessen, da sie allein dieses Vorgehen 
für naturwis se nschaftlic h untermauert hiel ten. Die 
Fachpresse war damals angelsächsisch geprägt.  Da 
Frau Canetti-Buschor, die als erste professionelle 
Restauratorin bishe r allein im Kuns thaus tätig war, 
ihre Ausbildung im nach Italien ausgerichteten 
Doerner-Institut  in München genos s und ich eine 
angelsächsisch orientierte Basis durch Thomas Bra- 
chert (da mals im Sc hwe izerischen Institut für Kuns t- 
wis s enschaft) und Rolf Straub (Akademie in Stuttgart) 
hatte, se tzten wir bald die eine, bald die ander e Kon- 
se r vierungs technik ein. Meine Anstellung 1967 erfolgte 
wegen meine r V orkenntnisse in der Wachsdoublie- 
rung. Es herrschte zwischen uns ein gegenseitiges 
Einverständnis, in diesem Ber eich zu handeln, und so 
wurde ein Unte r dr uckheiztisch angeschafft. Wir haben 
beispielsweise Bonnards «Signac und seine Freunde 
im Segelboot» mit Kleister, hingegen Füsslis «Schwur 
der drei Eidgenossen» mit Wachs doubliert. 
Brachert hatte damal s einen Artikel in der «Mal- 
technik» publiziert, in dem er die F or derung aufstellte, 
dass alle Gemälde mit Wachs zu doublieren seien, 
bevor man sie ausleiht. Das wurde von manchen als 
restaurierungsethischer Grundsatz übernomme n. 
Dies schien uns weit übers Ziel hinausgeschos sen. Die 
sich abzeichnenden Alterskrakelüren bei Mondrians 
«T ableau» Nr. 1 (Los enge) von 1925, welche sich quer 
EIN RÜCKBLICK AUF VIERZIG JAHRE 
RESTAURIEREN IM KUNSTHAUS – IRRTÜMER 
UND E RKENNTNIS SE
	        
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