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Bei Alfr ed Sisleys «La route» war das Rosa in der
Strasse a usgeblichen und verlangte nach einer Stüt-
zung. Neben der Ausbleichung der hellen Partien sind
jedoch die dunkeln Partien, besonders der dunkle
Hauf en vor dem Schreitenden, stark nachgedunkelt,
so dass jener durch sein optisches Gewicht noch vor
die Baumgrupp e links an die vorderste Stelle des
Gemäldes trat und den Bildraum massiv beeinträch-
tigte. Hier reichte es nicht, dies en dunkeln Haufe n zu
mattieren, wir haben ihn deshalb zusätzlich mit Zink-
weiss um eine Stufe aufgehellt, damit er sich etwas
besser in den Raum einf ügt.
Das Ausbleichen der hellen und das Nachdunkeln
der von sich aus schon dunkeln F arben treten bei sehr
vielen Gemä lden auf, welches durch Abnehme n der
P atina bei sogenannten Reinigungen oder im Zuge von
Firnisabnahmen nochmal s verschärft wird. Sol che
Summierungen von Auseinanderalterungen und miss-
verstandenen «Restaurierungen» beeinträchtigen oft
die W ertschätzung von Gemälden von Sisley und Pis-
sarro, aber auch von Renoir beträchtlich.
Die Patina
Im Zus amme nhang mit der nicht gefirnissten O berflä-
che stellt sich die Frage nach der Patina, der früh in die
F arbschic ht eingebundenen leichten «V erschmut-
zungen» , die den Nachweis liefert, dass der Künstler
sein Gemälde ohne Firnis k onzipiert hat. Bei gefi r-
nissten Gemälden bildet sich erst auf dem Firnis eine
P atina, eine l eichte «V ers c hmutzung». Eines Tages
brachte mir Lionel Pissarro eine Seine-Landschaft
se ines Urgrossvaters zur R es taurierung, in dem die
Raumperspektive völlig gestört war. Das Bild trug
einen frischen Kuns tharzf irnis, den ich entf ernte. Das
Gemälde sah dann in den hell en Partien stark fleckig
aus, weil es früher unregelmässig ger einigt wur de.
Einzelne Stellen waren blank herausgescheuert, wäh-
rend andere durch die grauen, originalen Patinaresten
– «V e rschmutzungen» – ein etwas kräftigeres Rosa
und damit überhaupt malerische Struktur erkennen
liessen. Um nachzuvollziehen, wie das Gem älde einst
mit einer regelmässigen Schmutzschic ht ausgesehen
hat, bega nn ich, statt weite rzup utze n, den herausge-
putzten Schmutz mit Pigment en zu ers etzen. Plötzlich
erhielte n die blanken Stell en malerische Struktur und
eine erhöht e Farbigkeit; die räumliche Tiefe des
Gemäldes begann sich w ieder zu entwick eln. In der
Folge probierten wir dasselbe bei vielen andern be ein-
trächtigten Gemälden mit dems elben Erfolg aus.
Einen vergleichbaren Fall haben wir in unse re
Sammlun g mit dem 2001 erfo lgten Ankauf von Henri
Matisses «Barbizon» erl ebt. In der Tat, in der Mitte
befand sich eine störende, leere Partie. Bei der nähe-
ren Unt ersuchung der drei senk r echten hellen Pinse l-
züge ohne Farbe war festzustellen, dass sie früher
einmal von rosaroter Färbung waren. Versuchsweise
begannen wir diese Stelle durch P atina und gering e
Färbung zu stützen, und nun kann man erkennen, wel-
che Bedeutung dies er Stelle für die vertikale und hori-
zontale Konstruktion des Bildes zuk ommt.
Einer vom Künstler bewusst eingesetzten Patina
begegneten wir bei der Schenkung des «Profil eines
bärtigen Mannes» von Ingres. Diese Studie wurde zuvor
bei einer Restaurierung ebenfalls vom «Schmutz», also
von der Patina, weitgehend «befreit», dadurch wirkte
der Kopf nur mehr als flaches Relief. Wir entschieden
uns, diese fehlende Patina wieder zu ergänzen, was der
Stu die ihre Kohärenz zurückgab und dem Kopf wieder
zu seiner klassizistischen Plastizität verhalf.
Eine Zusammenfassung solcher r es taura torischer
Erfahrungen durften wir mit der Unter stützung von
Christian Klemm in der Ausstellung «Von Claude
Lorrain bis Giova nni Segantini/Gemäldeoberfläche
und Bildwirkung» von 1996 a nschaulich darstellen und
publizieren. Die französische Kurzfa s sung «La patine ,
témoin d’authenticité» fo lgte in «Nuances» 1999/20–21
und wird in «Issues in the Conservation of Paintings»
2005 vom Getty Conservations Institute unter elf ande-
ren Beiträgen als Lektür e zum Themenkreis der Rei-
nig ung von Gemälden empfohlen. empfohlen.