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RENÉ WEHRLI ALS SAMMLER
René W ehrli (1910–2005) war 33 Jahre alt, als er 1943
im Kuns thaus zu arbeiten begann ; sieben Jahre später
trat er die Nachfolge von Wilhelm Wartmann als Dir ek-
tor an und blieb in diese m Amt, bis er 1976 das Ruder
an Felix Bauma nn über gab. Zu se inem Gedenken
haben wir im zweite n Magazin des Jahres 2006 sein
Wirk en vor dem Hinter grund seiner regen Aus stel-
lungs tätig k eit gewürdigt. Das Ko nvolut von Kunstwer-
ken aus se inem Besitz, das er dem Kunsthaus zu-
gedacht hat, gibt nun noch e inmal Gelegenheit, auf
einen anderen A spekt näher einzugehen, René W ehrli
als Vermittler der Kunst seiner Zeit und als Sammler
für das Kunsthaus und sich selbst.
Die Zeit nach dem Krieg war von tiefgreifenden
politischen, sozialen und künstlerischen V erände-
rungen geprägt; mit dem A mtsantrit t Wehrlis 1950
beginnt in der Sammlung des Kunsthauses eine rege
Ank aufsphas e, die diese Situation widers piegelt.
Zunächs t waren die Preise noch von der Baisse der
Nachkriegszeit geprägt: Werke von Degas , Bonnard,
Vuillard, die beiden von Georg Bührl e bezahlten See-
r os enbilder Mo nets konnten erworben werden. 1955
fo lgte noch das grosse Gemälde von Manet, für das
W ehrli ziemlich eigenmächtig das beträchtliche Legat
von Adolf Jöhr ausgab. Gleichzeitig wurde die klas-
sische M oderne ener gisch ausgebaut mit Léger, Ball a,
Marc, Picasso, Mondrian, Del aunay, Brancusi usw. In
diese n Jahren kamen die meis ten wichtigen Werke
diese s Bereiches ins Kuns thaus. Doch Wehrli berück-
sichti gte auch von Anfa ng an die unmitte lbar e Gegen-
wart: Dubuffet, Wols, de Staë l, Soulages, Keme ny und
bald auch Alberto G ia cometti. Eine bedeute nde Erwer-
bung waren die vier bronzenen Rückenakte von
Matisse, die bis heute einen markant en Akz ent in der
Sammlun g bilden. Auffallend ist das grosse Gewicht,
das man der Plastik zumass, sowohl bei den Zeitge-
nossen mit Moore und M arini als auch bei den Erwer-
bungen mit t elal terlicher Plas tik und W ehrlis Faible für
die antike Kunst, dem eine konzeptionelle Öffnung der
Ausstellungstätigkeit zu alten und aussereuropäischen
Kultur en e ntsprach. Spä ter trennte man sich wieder
von den antiken Einspr engs eln.
Indessen stiegen die Preise zu immer neuen
Höhen, der Basso continuo der entsprechenden Kla-
gen in den Jahresberichten wurde laut er: Ein Meister-
werkfonds wurde gebildet, und tatsä c hlich konnten
1965/66 noch der «Hufschmied» von Géricault und
Vuillards grosses Intérieur erworben werden. Gleich-
zeitig glückte die Gr ündung der von René W ehrli i niti-
ierten Alberto G iac ometti-Sti ftung, und in den fol-
genden Jahren wähl te er mit Nelly Bär den Inhalt ihres
Skulptur ens aal s. Ein neuer Picasso («Grand nu», 1964)
setzte einen markanten Akz ent, e benso wie Vallottons
«Le bain au soir d’été ». Daneben folgten sich die regel-
mässigen Erwe r bungen von regionalen Künstlerinnen
und Künstlern mit einem Schwe r punkt bei der abstrak-
ten Kunst (Bill, Vantonglerloo, Loewensberg, Glarner,
Graeser). Ber eits eine jünger e Gener ation machte sich
um 1970 mit der Hinwendung zur amerikanischen
Kunst ge ltend: Mark Rothko, R obert Ra uschenber g
und Ja sper Johns , George Segal, Roy Lichtenstein und
Andy Warhol bilden eine bedeute nde Gruppe, die auch
jetzt noch fast unv erändert in den Sa mmlungsräume n
zu sehen ist und das Profil des Haus es mitp rägt.
René Wehrli, der durchaus hartnäckig sein konn-
te, wenn es um Erwerbungen ging, war also ein Samm-
ler mit vielfältigen Interessen. Der Skulptur galt sein
besonderes Augenmerk, und die Öffnung des Muse-
ums zur internationa l en M oderne und zur zeitgenös -
sischen Kunst jener Zeit ist wesentlich sein Verdienst.
Die alten Meister fehlen hingegen fast völlig und
erhielte n erst durch die Ei nbindung der Ruzicka- und
der Koetser-Stiftung einen bis heute wirksamen
Hinweise auf Neuerwerbungen