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während der Lehrjahre in Paris entstandenen Skulp-
turen bis zu dem Selbstbildnis von 1925, das Giaco met-
ti Hans Stocker gab und das 1993 in die Stif tung
gelangte, wird nur durch den in Paris verbliebene n
Kopf der Mutte r von 1924 überbrückt. Dies er entspric ht
in der facettierten Strukturi e rung genau den gl eichzei-
tigen Aktze i chnungen. Das in der A kademie Erlernte
bleibt in den f olgenden Skulpturen zwar in der meis-
terhafte n Si cherheit der F ormbildung wirksam, aber
eine konsistente, ind ividuell e St ilha ltung zeichnet sich
nicht ab. Schon das Selbstbildnis ist durchaus ver-
schieden von dem ebenfalls 1925 datierte n Kopf Die-
gos: Während jener an archaische Kuroi erinnert, ist
dieser eher von der aktuellen «Art déco» geprägt.
Albertos k onzeptuel l es Vorgehen ma nifes tiert sich in
der Folge von Köpfen nach dem Vater von 1927, in der
sys tem atisch die un ters c hiedlichen plastischen
Gestaltungsmöglichkeiten des Them as durche xerziert
werden.
Die avantgardistischen Werke von 1926 bis 1934
sind in der Stiftung seit ihrer G ründung im Gegens atz
zum Nachlass gut vertreten; mehrere Geschenk e von
Bruno und Odette G ia cometti, von Ernst Beyeler und
Gustav Zums teg haben diesen Bes tand s either noch
er gänzt. T r otzdem bilden die sechs neuen Skulpturen
aus dies em Bereich einen ausserordentlichen Ge winn.
Die kubis toide Figur (Abb. 17), dir ekt in Gips gearbeitet
und aus Maloja stammend, dürfte als einzige derartig e
Pla stik im Bergell ents tanden sein; in ihrer exube-
rante n Experimentierfreudigkeit wurde sie nie gegos -
sen. Die ungewöhnlich r echenförmi ge n, fünffingrigen
Elemente entwickelten sich wohl aus der in einer
Br onze vorliegenden « Composition», zu der Giaco met-
ti von den streng stilisierten, verschränkten Händen
der Gudea-St atuen inspiriert wur de. – Ber eits in den
Kernbereich des Surr ea lismus gehören die «objets
sans base», fetis c hartige «Dinge», die ohne Sockel
direkt im Leben wurzeln sollen; zu dem
programmatischen «Vide poche» und dem «Objet
désagréable à jeter» kommt nun das zentrale, bes on-
ders una ngenehm b a nanenförmige «Objet désagréab-
le». Am Ende der surrealistischen Werkreihe steht der
habe n, so dass sie ihn aufbew ahrten, das Spiel-Mate-
rial der weiteren Umformung entzogen und ihn durch
eine dunkl e Bema lung quasi in eine Bronzeplastik ver-
wandelten. T a tsächlich hat hier der dr eizehnjä hr ige
Alberto das Gesicht s eines B ruders erstaunlich gut
erfasst; auch als Skulptur wirkt die Arbeit reifer als
gl eichzeitig e Ze i chnungen und lässt so die spe zi fische
Begabung des angehenden Bildhauers erkennen.
Einen wes entlichen Sc hritt markieren die etwa drei
Jahre spät er entstandenen Köpfe; beim ersten «Bru-
no» ist der Aufbau der plastischen Gesichtsformen
und der üppigen Lockenpracht gegenüber den a llge-
meine n Rundungen «Diegos» ungleich differenzierter .
Die kleinere der beiden Büs ten nach Mitschülern im
Gymnasium in Sc hiers zeugt von der Kenntnis einer
klassischen Lösung für den Über gang von der Brust
zum Sockel; die andere überrascht durch ihr annä-
hernd lebensgrosses Format und noch mehr durch ihr
Lächeln und die spontan affe ktive Haltung: über der
als Sock el ausgebildeten Br u stpartie we ndet sich der
Kopf l eicht geneigt zur Seite , dem durch die Vertiefung
der Augen lebhaft wirk enden Blick folgend. Gleichzei-
tige Ze i chnungen, das nach einem Blatt Giova nnis
gebildete Flachrelief mit dem Gesicht der M utter und
viell eicht ein weiterer, verschollener Kopf verrät das
Interesse an einem beso nders in der ital ienischen
Plastik um 1900 beliebten Them a, das Alberto nicht
mehr aufgreifen wird. Höhepunkt und Abschluss die-
ser jugendlichen Arbeite n bildet in fast klassisch
anmu tender Vollendung der Kopf Brunos von 1919.
Zwei Köpfe der M utter markieren den Über gang
zum professionellen Werk. Der frühere, kleinere ist
ebenfalls noch in Plastilin und dunkel bema lt; der
grössere aber ist eine Gipsabformung eines Plastilins,
von dem sich das Gesicht in der F amilie erhalten hat,
während die Lock en in den Händen ihres Enkels Sil vio
wieder zu Spielmaterial wur den (Abb. 15). In der ak zen-
tuierten, bewegten Model lierung wird nun die Einwir-
kung Rodins deutlich und damit erstmals ein entschie-
dener Stilwille. Dessen weitere E ntwicklung lässt sich
allerdings auch mit den zurückgewonnenen Werken
nur a nsatzw eise erahnen: Der vo lls tändige Verlust der der