Full text: Jahresbericht 2006 (2006)

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während der Lehrjahre in Paris entstandenen Skulp- 
turen bis zu dem Selbstbildnis von 1925, das Giaco met- 
ti Hans Stocker gab und das 1993 in die Stif tung 
gelangte, wird nur durch den in Paris verbliebene n 
Kopf der Mutte r von 1924 überbrückt. Dies er entspric ht 
in der facettierten Strukturi e rung genau den gl eichzei- 
tigen Aktze i chnungen. Das in der A kademie Erlernte 
bleibt in den f olgenden Skulpturen zwar in der meis- 
terhafte n Si cherheit der F ormbildung wirksam, aber 
eine konsistente, ind ividuell e St ilha ltung zeichnet sich 
nicht ab. Schon das Selbstbildnis ist durchaus ver- 
schieden von dem ebenfalls 1925 datierte n Kopf Die- 
gos: Während jener an archaische Kuroi erinnert, ist 
dieser eher von der aktuellen «Art déco» geprägt. 
Albertos k onzeptuel l es Vorgehen ma nifes tiert sich in 
der Folge von Köpfen nach dem Vater von 1927, in der 
sys tem atisch die un ters c hiedlichen plastischen 
Gestaltungsmöglichkeiten des Them as durche xerziert 
werden. 
Die avantgardistischen Werke von 1926 bis 1934 
sind in der Stiftung seit ihrer G ründung im Gegens atz 
zum Nachlass gut vertreten; mehrere Geschenk e von 
Bruno und Odette G ia cometti, von Ernst Beyeler und 
Gustav Zums teg haben diesen Bes tand s either noch 
er gänzt. T r otzdem bilden die sechs neuen Skulpturen 
aus dies em Bereich einen ausserordentlichen Ge winn. 
Die kubis toide Figur (Abb. 17), dir ekt in Gips gearbeitet 
und aus Maloja stammend, dürfte als einzige derartig e 
Pla stik im Bergell ents tanden sein; in ihrer exube- 
rante n Experimentierfreudigkeit wurde sie nie gegos - 
sen. Die ungewöhnlich r echenförmi ge n, fünffingrigen 
Elemente entwickelten sich wohl aus der in einer 
Br onze vorliegenden « Composition», zu der Giaco met- 
ti von den streng stilisierten, verschränkten Händen 
der Gudea-St atuen inspiriert wur de. – Ber eits in den 
Kernbereich des Surr ea lismus gehören die «objets 
sans base», fetis c hartige «Dinge», die ohne Sockel 
direkt im Leben wurzeln sollen; zu dem 
programmatischen «Vide poche» und dem «Objet 
désagréable à jeter» kommt nun das zentrale, bes on- 
ders una ngenehm b a nanenförmige «Objet désagréab- 
le». Am Ende der surrealistischen Werkreihe steht der 
habe n, so dass sie ihn aufbew ahrten, das Spiel-Mate- 
rial der weiteren Umformung entzogen und ihn durch 
eine dunkl e Bema lung quasi in eine Bronzeplastik ver- 
wandelten. T a tsächlich hat hier der dr eizehnjä hr ige 
Alberto das Gesicht s eines B ruders erstaunlich gut 
erfasst; auch als Skulptur wirkt die Arbeit reifer als 
gl eichzeitig e Ze i chnungen und lässt so die spe zi fische 
Begabung des angehenden Bildhauers erkennen. 
Einen wes entlichen Sc hritt markieren die etwa drei 
Jahre spät er entstandenen Köpfe; beim ersten «Bru- 
no» ist der Aufbau der plastischen Gesichtsformen 
und der üppigen Lockenpracht gegenüber den a llge- 
meine n Rundungen «Diegos» ungleich differenzierter . 
Die kleinere der beiden Büs ten nach Mitschülern im 
Gymnasium in Sc hiers zeugt von der Kenntnis einer 
klassischen Lösung für den Über gang von der Brust 
zum Sockel; die andere überrascht durch ihr annä- 
hernd lebensgrosses Format und noch mehr durch ihr 
Lächeln und die spontan affe ktive Haltung: über der 
als Sock el ausgebildeten Br u stpartie we ndet sich der 
Kopf l eicht geneigt zur Seite , dem durch die Vertiefung 
der Augen lebhaft wirk enden Blick folgend. Gleichzei- 
tige Ze i chnungen, das nach einem Blatt Giova nnis 
gebildete Flachrelief mit dem Gesicht der M utter und 
viell eicht ein weiterer, verschollener Kopf verrät das 
Interesse an einem beso nders in der ital ienischen 
Plastik um 1900 beliebten Them a, das Alberto nicht 
mehr aufgreifen wird. Höhepunkt und Abschluss die- 
ser jugendlichen Arbeite n bildet in fast klassisch 
anmu tender Vollendung der Kopf Brunos von 1919. 
Zwei Köpfe der M utter markieren den Über gang 
zum professionellen Werk. Der frühere, kleinere ist 
ebenfalls noch in Plastilin und dunkel bema lt; der 
grössere aber ist eine Gipsabformung eines Plastilins, 
von dem sich das Gesicht in der F amilie erhalten hat, 
während die Lock en in den Händen ihres Enkels Sil vio 
wieder zu Spielmaterial wur den (Abb. 15). In der ak zen- 
tuierten, bewegten Model lierung wird nun die Einwir- 
kung Rodins deutlich und damit erstmals ein entschie- 
dener Stilwille. Dessen weitere E ntwicklung lässt sich 
allerdings auch mit den zurückgewonnenen Werken 
nur a nsatzw eise erahnen: Der vo lls tändige Verlust der der
	        
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