Full text: Jahresbericht 2006 (2006)

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CLAES OLDENBURG 
MODEL – STRIPPED WALL SWITCH 
Ein Schalter – unübers ehbar, fast ein Meter hoch. 
Ziemlich gewöhnlich, wenn auch nicht mehr handels - 
üblich, und doch abartig, aber wie? Man meint, er sei 
q ua dratisch, wie eben Schalt er normalerweise sind, 
ein schwarzes Quadrat auf weissem Grund – hat 
man auch schon gesehen, bei Malewitsch etwa. Ist 
aber genau 91,5 x 76 cm; einerseits korrigiert der gute 
Künstler die optische Verzerrung, die das senkrechte 
Element auf das «quadratische» Feld aus übt, anderer- 
seits registriert das Auge das Gewöhnliche, wie es 
gewöhnlich ist – Seh-F aul heit oder Alltags-dienliche 
W ahrnehmungs -Ö k o nomie. Doch gerade dies will der 
Künstler durchbrechen: der Betrachter soll die Dinge 
bewusst sehe n, mit ihnen in Kommunikation treten. 
Auf den zweiten Blick ne hmen wir jetzt auch wahr, 
dass die vor gel agerte Pl atte vielme hr einer Signala m- 
pel gleicht, einem appellativen Zeichen-Gerät, das 
dem Fahrer in die Augen spr ingen soll, also ein Seh- 
Ding zum Gesehen-W er den, wie auch ein Gemälde, 
nur eben für einen sehr spezifischen Alltagsgebrauch. 
Diese Signale, wie sie uns in dies er Form nur noch von 
Sp ie lzeugeis enbahne n, aus alten Fil men und Phot o- 
graphien geläufig sind, k ontras tier en das schwarze 
Feld, aus dem die Ampel hell leuchtet, mit einer weis- 
sen Einfassung, die das Sc hild markant von der Umwe lt 
abhebt. Was wir automatisch optisch zusammenge- 
dacht haben, hat aber der Künstler getr ennt und die 
klare Umgr enzung ins T rägerfe ld v erlagert, während 
das Signal selbst hell und dunkel gesprenkelt ist, als 
zögen die Dampfschwaden einer Lok omotive daran 
vorbei. Der schwarze Grund aber erweist sich als 
W andtaf el, auf der mit weisser Kreide der Kipp-Mecha- 
nismus des Schalt ers als Aufriss-Schema demons - 
schende n Interessen Bayers bei der Verwendung 
der Fotografie: bei vier davon handelt es sich um Foto- 
plastiken im engeren Sinne. Sie zeigen vom Künstler 
hergestellte, gefundene und arrangierte plas tische 
Elemente, oft Naturformen wie Knochen, Blätter, Äste, 
Muscheln, welche geme insam mit Artefakten (R äder, 
Leitern) und abstrakt-geometrischen dreidimensio- 
nalen Formen vermittels der Fotografie in einen 
gemeinsamen Raum eingebunden und zu einer s kulp- 
turalen Ins tal lation verschmolzen werden. 
Die F otomo ntagen Bay ers hingege n zeigen uns 
einen Künstler, der kaum noch von den klassischen 
Doktrinen des Bauhauses, s ondern vielmehr vom 
P ariser Surrealismus se iner Zeit beeinflusst scheint. 
Hier entstammen die Motive der Sphä re des mensch- 
lichen Lebens , des Sozialen und des Psychologischen. 
Spiegelszenarien, Vexierspiele, Doppelbilder und Kipp- 
figuren, ein diskontinuierlicher Raum, der Traum und 
Wirklichk eit irritierend verquickt: all dies zeigt uns 
Bayer näher bei «Un chien andalou», bei Max Ernst, 
Magritte oder den F ilmen Cocteaus als bei den kühl- 
formalen Gestaltungsproblemen se iner Berliner Bau- 
haus-Kollegen: Motive aus Mythos und Massenkultur, 
aus Wissenschaft und aus Ges c hichte, Erotisches und 
Ar chetypisches umspielen die Wahrnehmung, und die 
retuschierte Co llage zeigt sich als me ist erhaftes Mittel 
der Synthese dispara ter und fragmentierter Bild, 
Gefühls- und Gedankenwelten. 
Tobia Bezzo la 
1 
Arthur A. Coh en, Herbert Bayer. The Complete Work, MIT Press, 
Camb ridge (Mass.) 1985, S. 362. Vgl. ferner: Udo Hartmann, Das Auge 
Herbert Bayers, in: F otografie am Bauhaus, herausgegeben für das 
Bauhaus-Archiv von Jeannine Fiedler, Berlin 1990, S. 64 ff.
	        
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