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CLAES OLDENBURG
MODEL – STRIPPED WALL SWITCH
Ein Schalter – unübers ehbar, fast ein Meter hoch.
Ziemlich gewöhnlich, wenn auch nicht mehr handels -
üblich, und doch abartig, aber wie? Man meint, er sei
q ua dratisch, wie eben Schalt er normalerweise sind,
ein schwarzes Quadrat auf weissem Grund – hat
man auch schon gesehen, bei Malewitsch etwa. Ist
aber genau 91,5 x 76 cm; einerseits korrigiert der gute
Künstler die optische Verzerrung, die das senkrechte
Element auf das «quadratische» Feld aus übt, anderer-
seits registriert das Auge das Gewöhnliche, wie es
gewöhnlich ist – Seh-F aul heit oder Alltags-dienliche
W ahrnehmungs -Ö k o nomie. Doch gerade dies will der
Künstler durchbrechen: der Betrachter soll die Dinge
bewusst sehe n, mit ihnen in Kommunikation treten.
Auf den zweiten Blick ne hmen wir jetzt auch wahr,
dass die vor gel agerte Pl atte vielme hr einer Signala m-
pel gleicht, einem appellativen Zeichen-Gerät, das
dem Fahrer in die Augen spr ingen soll, also ein Seh-
Ding zum Gesehen-W er den, wie auch ein Gemälde,
nur eben für einen sehr spezifischen Alltagsgebrauch.
Diese Signale, wie sie uns in dies er Form nur noch von
Sp ie lzeugeis enbahne n, aus alten Fil men und Phot o-
graphien geläufig sind, k ontras tier en das schwarze
Feld, aus dem die Ampel hell leuchtet, mit einer weis-
sen Einfassung, die das Sc hild markant von der Umwe lt
abhebt. Was wir automatisch optisch zusammenge-
dacht haben, hat aber der Künstler getr ennt und die
klare Umgr enzung ins T rägerfe ld v erlagert, während
das Signal selbst hell und dunkel gesprenkelt ist, als
zögen die Dampfschwaden einer Lok omotive daran
vorbei. Der schwarze Grund aber erweist sich als
W andtaf el, auf der mit weisser Kreide der Kipp-Mecha-
nismus des Schalt ers als Aufriss-Schema demons -
schende n Interessen Bayers bei der Verwendung
der Fotografie: bei vier davon handelt es sich um Foto-
plastiken im engeren Sinne. Sie zeigen vom Künstler
hergestellte, gefundene und arrangierte plas tische
Elemente, oft Naturformen wie Knochen, Blätter, Äste,
Muscheln, welche geme insam mit Artefakten (R äder,
Leitern) und abstrakt-geometrischen dreidimensio-
nalen Formen vermittels der Fotografie in einen
gemeinsamen Raum eingebunden und zu einer s kulp-
turalen Ins tal lation verschmolzen werden.
Die F otomo ntagen Bay ers hingege n zeigen uns
einen Künstler, der kaum noch von den klassischen
Doktrinen des Bauhauses, s ondern vielmehr vom
P ariser Surrealismus se iner Zeit beeinflusst scheint.
Hier entstammen die Motive der Sphä re des mensch-
lichen Lebens , des Sozialen und des Psychologischen.
Spiegelszenarien, Vexierspiele, Doppelbilder und Kipp-
figuren, ein diskontinuierlicher Raum, der Traum und
Wirklichk eit irritierend verquickt: all dies zeigt uns
Bayer näher bei «Un chien andalou», bei Max Ernst,
Magritte oder den F ilmen Cocteaus als bei den kühl-
formalen Gestaltungsproblemen se iner Berliner Bau-
haus-Kollegen: Motive aus Mythos und Massenkultur,
aus Wissenschaft und aus Ges c hichte, Erotisches und
Ar chetypisches umspielen die Wahrnehmung, und die
retuschierte Co llage zeigt sich als me ist erhaftes Mittel
der Synthese dispara ter und fragmentierter Bild,
Gefühls- und Gedankenwelten.
Tobia Bezzo la
1
Arthur A. Coh en, Herbert Bayer. The Complete Work, MIT Press,
Camb ridge (Mass.) 1985, S. 362. Vgl. ferner: Udo Hartmann, Das Auge
Herbert Bayers, in: F otografie am Bauhaus, herausgegeben für das
Bauhaus-Archiv von Jeannine Fiedler, Berlin 1990, S. 64 ff.