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Die V e rschiebung aus dem brodelnden Manhattan
in das coole Los Angeles 1963 regte ihn zu einer
weiteren Art von Verformungen an: die Möbel des
«Bedrooms» sind pers pektivisc h verzerrte, kunststoff-
beschichtete Kis ten, die dem Blick des Betrachters
auf irritierende Weise entgegen k ommen. In der asep-
tischen Perfektion griff er das Leugnen des Todes in
Hollywood auf – er n annte das Ensemble «Pha raos
Grab». Zugleich nä herte er sich damit f ormal der
damals aufblühende n Pop Art, während das primitiv
Unförmige eher von Dubuffet und der Art brut geprägt
war. Ein erstes derartiges Möbel wurde in der Werk-
statt von Artschwager hergestellt, und in unserem
«Schalter» dürften die schwarz-weiss gesprayten
Nebel von Andy W arhol angeregt sein, mit dem er in
Los Angel es ein Bungalow teilte . Die Wahl des Gerätes
hingegen weist auf die Anfänge der Bewegung bei
Jas per Johns zurück, der ber eits 1958 eine Taschen-
lampe und eine Lampen b irne quasi fo r midentisch
in Metall na c hgebildet hat. An seine m «combine
painting» «Zone » (1962) im Kuns thaus findet sich ein
Schalter, und auch das gezeichnete Schema mit dem
Pfeil erinnert an Werke von ihm.
Zur raschen Visua lisierung der von Schr einern
ausgeführten «M öbel» machte er Kartonmodelle, wie
er sie bald auch in überlebensgrossem Massstab als
Vorlagen für die Schnittmuster der weichen Plastiken
herstellte. Das «Mode l – Str ipped Wall Switch» dürfte
das erste dies er Arbeitsmodelle sein, dem selbst
Werkcharakter zuk ommt. Für den Künstler entspre-
chen sie «der geistigen Vision, imaginär, abs trakt, so
etwas wie Platons Formen». In ihrer vom Künstler
locker von Hand gemachten, frei bemalten und mit
Notizen versehenen Art eignet ihnen etwas Subjek-
tives und Unmittelbares, das sich in den manufak-
turmässigen Aus f ührungen in w eichem oder hartem
Material verliert – eine Lektion, die sich nicht nur
Bruce Nauma n merkte . Die «Lichtschalter» in Segel-
tuch und in mit Latex beschichtetem Holz w eichen in
der Form kaum noch von üblichen Schaltern ab; sie
sind nic ht, wie das Mode ll, «stripped», entkleidet,
geöffnet, demontiert und entsprechend geht ihnen
triert und unten rechts als «sk etch/s witc h» beschrie-
ben wird. Die Signatur des Künstlers ist wie mit einem
trockenen oder schmutzi ge n Schwamm halb a usge-
wischt. Das vorgestellte senkrechte Element hingegen
erinnert eher an ein Gesicht, mit einem dunklen Auge
vor dem hellen N ebel, einer Nase oder Zunge und dem
Mund, oder gar an ein Männchen, doppelde ut ig, wie
ein paar frühe flache Skulptur en Gi a comettis.
Oldenbur g sucht ein «vollständiges Bild der Per-
zeption, d.h. eine Mischung der D inge, wie sie sind und
wie man sie sich vorstellt». E rinnerungen, A nspie-
lungen , Phantasien lässt er in die Dinge einflies s en
und lädt sie so psychisch auf. Zwar verliert das Gerät
durch die Verschiebung in die Kunst seine banale
Zweckmässigkeit – durch das Kippen des Schalters
geht dem «Benützer» höchs tens ein inneres Licht
auf – aber seine opake F r emdheit öffnet sich mensch-
lichen Anmutungen. In moderne r Weise ist es wie in
alten Still eben, in denen die Dinge in ihrem räts el-
hafte n Eigenleben mit dem Betrachter in Kommuni-
kation treten. Oldenbur g will die Objekte suggestiv
machen, ihre Magie und damit die Einheit von Mensch
und Welt wieder erwecken. Dieses r o mantische Pro-
jekt vom «Lied in allen Dingen» v erfolgt er in v erschie-
denen Pha sen und Vorgehensweisen. Zunächst sucht
er um 1960 das archaisch Ursprünglic he wie Cy Twom-
bly in Graff iti und F undstück en in den Strassen. Dann
richtet er einen «Store», einen Laden mit Konsumgü-
tern ein, wobei er nicht wie Warhol an Markenartik eln
interessiert ist; vielmehr werden die Waren psycho-
tisch deformiert und bem alt, Pollocks informelle
Selbstentäusserung bri ngt er auf Kl eiderformen auf,
Ja sper Johns Flagge mutiert zur eingeschweissten
Kote l ett-P ac k ungs-Attrappe. Diese zum Amorphen
tendierenden Objekte führ en 1962 zu «weichen» Skulp-
tur en; aus Segeltuch oder Latex genä ht und mehr oder
w eniger mit Füllmaterial ges topft, verlieren die Dinge
ihre Härte und geraden Konturen, werden sinnlich
weich und geben der Schwerkraft nach, wie der
Me nsch im Schlaf oder die Uhren bei Dalí. Oldenburg
nennt diese Aus formungen «ghos t vers ions» – Geist-
oder Phanto m-F assungen. Phanto m-F assungen.