93
MARKUS SCHINWALD
«TEN IN LOVE»
Anfangssequenz von «Ten in Love» (20 06) ist u nheim-
lich mysteriös: Zwei Pendel ticken maschinenartig auf
und ab, angetrieben von unbeka nnter Kraft. Sie sind
Teil einer seltsamen Kons truktion, die gleichzeitig
Skulptur , Architekturmodell und Pseudomaschine ist,
jedoc h ohne klar erkennbare F unktion. Dann schweift
die Ka mera in den Raum. Diese r ist nicht w eniger
merkwür dig: überall gerundete Wände und Fenster,
die Erinnerungen an M endel sohns Einstein- Turm
wachrufen. Wo sind wir hier? Während die Kame ra
über die biomorphe Inne nhaut des Raums gl eitet, setzt
eine Stimme ein und wiederholt: «From soft to s oft.»
Eine A nspielung auf die stoffartig a nmutende Archi-
tektur, einzige Protagonistin in dies em ersten Teil von
Markus Schinwalds Video? Der Raum scheint men-
schenleer zu sein. Die Kame ra dreht sich w eiter und
fährt über ein paar Tische, bis plötzlich eine Frau auf-
taucht – regungslos auf einem Stuhl sitzend und durch
die Eins tel lung der Kame ra ohne Kopf. Puppe oder
Mensch? «Give n nothing but to wonder», sagt die Stim-
me aus dem Off, während die Kame ra we iter durch den
Raum schweift und den Blick auf zwei F rauen freigibt,
die sinnentl e erte Handlunge n vollziehen und irritie-
r ende, ihrer F unktion entl edigte Kleider tragen.
Nicht nur der A nfang von «Ten in Love» (2006 ) ist
verwirr end. Das ganze Video verunsichert, und es
bleibt einem – wie es die Stimme aus dem Off bereits
vorwe gnahm – nic hts ander es übr ig, als sich zu wun-
dern. Dass diese Ir ritation dur chaus Absicht ist, zeigt
folgendes Zitat des 1973 in Salzbur g geborenen Küns t-
lers: «Wenn manche Arbeiten unheimlich e rscheine n,
dann wohl eben deshalb, weil es diese ‹Lücke› gibt,
auch der einl eitend bemerkte Assoziationsreichtum
ab. Damit wird die Kartonv ersion zum Schwell enw erk,
in dem sich die evokative Kraft der frühen Skulptur en
mit dem objektivierenden Charak ter der Pop Art
verbindet. Deren Auffassung ma nifes tiert sich bei ihm
vor allem in der extremen Vergrösserung der Artikel,
wie sie Oldenburg bereits 1962 an einem amorphen
Kuchenstück und einem grotesken Eiscornet erprobt
hatte ; aber erst um 1965 machte er dies es die Dinge
monumentalisierende Vorgehen zu s einer eigentlichen
Spezialität – wobei es natur gemäs s meist bei meister-
hafte n Zeic hnunge n blieb, die die Geräte in gigan-
tischem Ausmass in der Stadtlandschaft zeigen. Und
wiederum sind die vom subjektiven Duktus des St ifts
und des Aqua r ellpinse ls bel ebten Blätter evokativer
und sinnlicher als die hundertfach vergrössert a usge-
führten, steif in die Luft ragenden Objekte.
Christian Klemm
Das «Model – Stripped Wall Switch » ist publizi ert in: Claes Olden-
burg. Early Works (A u sst.Kat. New York, Z wirner & Wirth, 2005)
S. 74f (S. 76–79 die weic hen und ha rten Versionen des Lich ts cha lters)
mit einem Text von Julia E. Robins on: Fetish or Foil. The Caprices of
Claes Oldenbur g (S. 7–29, bes. S. 24). Die Zita te des Künstlers nach
Bernhard Kerber: Claes Oldenburg. Schreibmaschine (Stuttgart 1971;
= Reclams W erkmonographien, S. 10) resp. nach Coos je van Bruggen:
Claes Oldenbur g: Nur ein anderer Raum (Frankfurt a. M., Mu seum für
Moderne Kun st, 1991, S. 98).