94
bleibt alles merkwürdig unterkühlt. Die zehn Men-
schen befinden sich am s elben Ort, im s elben Raum,
doch es ist unklar, welche Bezieh ung sie untereinan-
der verbindet. Jeder von ihnen geht völlig konzentriert
der Sinnlosigkeit s einer Be schäft igungen nach, und in
gewissen Momenten scheint es, als würden sich ihre
Bew egungen zu einer Gesamtmaschine zusammen-
fügen – erneut allerdings ohne erkennbaren Nutzen
oder F unktion. Das Ganze hat etwas Zeitentrücktes,
T rauma r tiges, und die Leere ist so verführerisch insze -
niert , dass man gar nicht anders kann, als sich von der
Schönheit der Bilder einsaugen zu lassen. «The v olup-
tous suck of hollow times», ertönt es denn auch pr ompt
aus dem Off. Doch es ist eine be unr uhigende Schön-
heit, hinter der subtile Abgründe lauern – und genau
die Ambivalenz dieser Kom b ination macht das Werk
Schinwalds aus.
Mirjam Varadinis
einen Zustand, in dem die Dinge verschiedene Bedeu-
tungen annehm en k önnen oder gar nicht erläutert
werden.» 1
Schinwalds Filme sind bildgewaltig schön
und unheimlich zugleich. Sie f olgen keinem linearen
Erzählmuster und haben «k einen Anf ang und kein
Ende. Sie bestehen eigentlic h nur aus Mitte. Es ist eine
Art P se udonarration, in der bes timmte Handlungen
zwar angedeutet, aber nicht zu Ende gebracht werden;
eine Art künstliche Ruine, so als würde man in einem
Drehbuch die Sze nen, die die Handlung vorantreiben,
einfach wegnehmen und nur den Rest übrig
las sen. »2
Das gilt auch für die Spr echte xte, die Schinwalds Filme
aus dem Off begleiten. Sie sind gena uso elliptisch
mys teriös wie die Handlung, bl eiben absichtlic h
fragmentarisch und unterstreichen so bewusst die
insze nierte I rritation.
Inhaltlich gilt Schinwalds Hauptinteres se dem
menschlichen Körper und dessen facettenreichen kul-
tur geschic htlichen Bedeutung und medialen Insz enie-
rung. In se inen Fotos und Videos bricht der Künstler
mit überlie ferten Bildern und Konventionen, indem er
seine Darsteller mit Prothesen oder mec h anischen
Appara ten versetzt, sie unnatürliche Verrenkungen
ausführen lässt und den menschlichen Körper so zum
Artefakt macht. Eine wichtige Rolle spielt dabei die
Kl eidung, die Schinwald spezie ll so wählt und konstru-
iert, dass sie die Körperfunktionen auf ungewohnte
Weise beeinflusst oder gar kontrolliert. Für ihn hat
Kl eidung denn auch nicht nur die Bedeutung einer
Hülle, sondern sie übernimmt vie lmehr die architek-
tonische F unktion eines Gerüsts, die das Innenl eben
bes timmt.3
Dieses Wechselspiel von innen und aussen
widerspiegelt sich auch in Schinwalds Choreographie,
bei der es ihm darum geht, seelische Zus tände in
physische Äquival ente zu übertragen.
Die Protagonisten von «Ten in Love» fo lgen eben-
falls einer solchen Cho r eographie. Sie scheine n merk-
wür digen Zwängen unterworfen und bewegen sich
marionettenartig, wie von fremder Hand geführt. Die
Szenerie hat etwas Bühnenartiges, doch es herrscht
eine grosse Leere und Einsamkeit in dies em Theater
der Men schheit. Obwohl der Titel «Ten in love» heisst,
1
Der Kü nstler in einem Interview mit Maria Morais, in: db-artmag,
Nr. 32, Dec. 2005/ Jan. 06
2
Ebd.
3
Siehe dazu das Interview von Dan iele Perm mit dem Künstler, in:
Tema Celeste , Januar 2005