Hinwe ise auf Neuerwerbungen
SEBA STIAN STOSKOPFF –
DER MEISTER DES ESSENTIELLEN STILLE BEN S.
ZU SEINEM ZÜRCHER SCHR ANKBILD
Das Verhältnis von Bild und Wirklichkeit gehört zu den
zentral en Fragen der bildenden Ku nst: im Stilleben und
nochm als gesteigert im Trompe-l'œil spitzt sich das
Problem zu und wird in extremer Weise fo rmulier t. Die
Augentäuschung bilde t seit dem neuen Realismus der
klassischen Griechen das Lieblingsthema der Künst-
leranekdoten. Zwar werden da angeblich Pferde durch
gemalte Pferde und Leute durch Portraits ersc hr eckt,
aber Tiere und Menschen wirken nur in Bewegung
lebensecht: allein still lieg ende Sachen k önnen den
Blick betrügen. Da sollen Vögel zu den von Zeuxis
gemalten Trauben geflogen sein; und wie er sehen will,
was sein Konkurrent Pa rrhasius dem entgegenhalten
kö nnte, sieht er sich selbst durch den Vorhang betr o-
gen,derdasBildist,vondemerihnwegziehenwill.1
Lebensgross müss en die Dinge sein, in ihrer Materia-
lität exakt erfasst, in P ers pektive, Licht und Atmosphä-
re genau wiedergegeben. Entscheidend für den Illusio-
nismus des T rompe-l'œil aber ist die scheinbare Aufhe-
bung der Grenze zwischen dem Raum des Betrachters
und dem Bildra um, die Verschmelzung von Realität und
Fiktion. Im Rahmen und in der Bildfläche berühren sich
die Sphär en: jener muss sich möglichst selbstver-
ständlich und bruchlos den äusseren Gegebenheiten
e infügen, diese kann nur beschränkt durch Tiefene ffek-
te nach vorn oder hinten aufgelöst werden.2
Die Wandnische gehört zu den beiläufigen ar chi-
tektonischen Erscheinungen in alten Gebäuden, die
sowohl funktional geplan t als auch durch strukturell e
Be dingungen oder bauhisto ri sche Zufälle entstanden.
Am prominentesten tritt sie neben dem Altar auf, kann
sich im Sakramentshäuschen zu veritablen Kl einar chi-
tekturen entwickeln oder verbleibt als schmuckl ose
Vertiefung schlichte Ablage liturgischen Gerätes, vor-
zugsweis e des Aquavinum, der Glaskrüglein für Wasser
undWein.Undsofindensichschonum1300älteste
übe rliefer te Beispiele für entsprechend gemalte
Attrappen, die wohl nicht zul etzt als Zei chen der ste ten
Präsenz der Euc h aristie geschaffen wu rden.3 Die ewi-
ge, permanente Gegenwart sakraler Wirksamkeiten,
dienurdurchSymbolezuleistenist,dürftezuden
ältesten anthropologischen Bedürfnissen oder V orstel-
lungen gehören, wohl eine der früheste n Reaktionen
auf das Bewusstwerden der ei genen Sterblichkeit. Der
ägyptis che T otenkult ist eine dra matisc he Manifesta-
tion dieses Komplexes; die Darstellung lebensnotwen-
diger Dinge –bishinzu«Ersatzköpfen»–inverschiede-
nen Realitätsgraden füllt die Grabkammern. An zen-
tral er Stell e werden W andnische n als «Scheintüren»
inszeniert, magische Durchgänge für den Geist des ins
Jens eits Eingegangenen. Im Mittelalter lebt die Idee
und P raxis der ewigen Anbe tung, in Analogie zum Lob-
preis der himml is chen Hee rschar en, und des ewigen
Lichtes, dem Gleichnis der klugen Jungfrauen einge-
denk, deren Lampen nicht des Öles ermangeln, als der
Bräutigam überraschend in der Nacht erscheint (Mat-
thäus XXV, 1–13). Und sodürfteeskeinZufallsein,dass
Giotto in der Arenakapelle in Padua se inen architekto-
nis chen Illusionismus, Teil des neuen «Realismus», in
den be iden «Chörlein» am Triumphbogen vor dem Altar gipfeln lässt, die unter dem Gewölbe nur ein Fenster 71