Full text: Jahresbericht 2007 (2007)

gemalten Nis che entsprechenden hölzernen Ausstat- 
tung entstanden sein. Es setzt sichauchvonderKunst- 
kammer-Atmosphäre der mit preziösen Gläsern, Gold- 
schmiedearbeiten und Blumen gefüllten Schrän ke Fle- 
gels ab, die ihre Nachfolge in den auf Kostbarkeiten 
und Curiosa a bge stimmten Sammlungskabinetten von 
Georg Hinz finden.15 Überblickt man Stoskopffs Werk, 
soweit es heute bekannt ist – noch stets kommen 
bedeutende Gemälde zum Vorschein16 – ,soist man 
anders als bei den mei sten Stillebenmalern wenige r 
von der virtuosen Beherrschung der malerischen Mi ttel 
be rührt als von einer reflektierten Strenge in der Kon- 
struktion des Bilde s. Dazu gehört der sehr bew usste 
Umgang mit den illusionistischen Effekten. Dem Stille- 
ben haftet allgemein, quasi genetisch, etwas Illusion i s- 
tis ches an;fastinjedemragteinObjekt–einMesser, 
eine Zitrone – über die als Bildeb ene wirkende vordere 
Tischkante hinaus. Stosk opff ste igert dies nicht nur in 
dem Schra nkbild zum Trompe-l'œil; erprobt er hier die 
Öf fnung der Fläche nach hinten, arbeite t er in a nderen 
Fällen noch effektvoller nach vorn, indem er Dinge an 
die Wand h ängt, etwa zwei Fi sche oder einen V ogel.17 
Auch dies ist ein eher altertümliches Verfahren, in der 
Wandmalerei spätestens seit dem 15. Ja hrhunder t 
geläufig; das ä lteste bekan nte isolierte Bild dieser Art 
stam mt von Jacopo de'Barberi.18 Stoskopff entwickelte 
den Typus weiter, indem er einen fingierten Kupferstich 
auf die Tafelheftete,einersterSchrittzudenimspäte- 
ren 17. und vor allem im 18. Jahrhundert belieb ten 
Quodlibets , Vorformen der «Pin-Bretter» mit angehe f- 
tetem Allerlei, v orzugsweis e Briefschaften und Kunst 
auf Papier, die auch Johann Caspar F üssli anspie- 
lungsreich pflegte.19 In dem Basler V anitas-Stilleben 
schliesslich malte Stoskopff, von einem illusionisti- 
schen Nagel auf dem als flachen Gegenstand «entlarv- 
ten» Gemä lde festgehalten, einen Kalender.20 Hier wird 
auch inhaltlich die allgemeine Be deutung dies es Illu- 
sionismus als Vanitas, als Ausdr uck des nur wahnhaf- 
ten Charakters alles Diesseitigen und Vergänglichen 
ver de utlicht. Die Anordnung des Schädels auf dem als 
Kragen wirkenden Notenheft über dem Büche rsto ss 
greift die aus D ingen ko nstruie rten Köpfe Arcimboldos 
auf und verdeutlicht damit einmal mehr die reflektie- 
rende künstlerische Vorgehensweise Stoskopffs. 
Man m öchte sich vorstellen, dass Stoskopff im 
Wissen um die Neuartigkeit der erst seit etwa einer 
Generation übliche n Gattung Stilleben auf das alter- 
tümliche und seltene Schran kbild als deren wichtigste 
Vorstufe zurückgreift und es im aktuellen Ko ntext neu 
interpretiert. Dazu gehört die pointier te Aktivierung der 
sechs Hauptric htu nge n nach oben und unten, links und 
rechts,nach vorn – durch den Flaschenhals –undnach 
hinten, wobei die feinen Abweichungen und genau e 
Ausponderierung erst die meisterhafte künstlerische 
Spann ung e rzeugt. Pointiert ist auch die Evokation der 
Bilde bene nicht nur durch die Vorderkanten von 
Schrank und Schaft, sondern auch durch die exakt 
frontale Standfläche des liege nden Glases – mitte n im 
rahmenden Viereck dürfte es unvermeidlich an die 
dama ls üblichen Butzenscheiben und damit an Albertis 
Definition des Bildes als Ausblick aus einem Fenster 
e rinnert haben; die exak te Spie gelung des Fensters im 
Alembic unmittelbar daneben u nte rstützt die Assozia- 
tion. Die vom Licht als mathematisch reine Linie 
gezeichnete Kreisform wird in den andern Gegenstän- 
den als Kugel, Keg el, Zylinder, Spirale räu mlich entfa l- 
tet und variiert. Dass die Auswahl der dargestellten 
Dinge und ihre Anordnung primär unter formalen 
G esi chtspunkten erfolgt, ist beze ichnend für die Haupt- 
mei ster der zweiten Generation der Stillebenmaler wie 
Piete r Claesz oder eben Stoskopff. 
Man kann die abbildende Kunst des 17. Jahrhun- 
derts als ein System von Ko mponenten und Struktur en 
verste hen, die sich den Be dingungen des Bildfeldes, 
des dargestellten Inhalts oder dem Wechselspiel dieser 
beiden Bereiche zuordnen lassen. Da alle Werke der 
Grundannahme eines «realistischen» Bildes zu genü- 
gen haben, müssen stets alle formalen Komponenten 
be rücksic htigt werden, aber ihre Gewichtung kann sehr 
unterschiedlich gewä hlt werden – im Extremfall gera- 
dezu gezielt gegen Null gefahren werden, z.B. die Far- 
be in denGrisaillen oder den sog. monochromen Land- 
schaften Jan van Goyens.Der moderne,mehr amzuge- 
s pitzt Formalen als am Inhaltlichen interess ierte 74
	        
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