ERNESTO NETO
«MEANDMYSELF»
Als P artner für zeitgenössische Kunst un te rstützt
Swiss Re das Kunsthaus Zürich und ermöglicht jedes
Jahr den Anka uf eines Kunstwerkes. Im Jahr 2007 wur-
de die Sk ulptur «Me and MySelf»des brasilianischen
Künstl ers E rnesto Neto (*19 64) erworben. Neto hatte
das Kunstha us im Spätsommer 2006 be sucht, etliche
Räume foto grafie rt und a lsdann verschiedene Vor-
schläge für raumspezifische, installative Skulpturen
vorgelegt. Zur A usführung gelangte sein Entwurf für
den seit jeher als Skulpturengalerie genutzte n Se iten-
lichtsaal im e rsten Stock des Kunsthauses.
Ernesto Neto ist ein später und eige nw illiger Erbe
der Bewegung der «Neo-Konkreten», welche der brasi-
lianischen Kunst der 1960e r Jahre einen international
wirksamen Impul s verlieh. Einige der Fragen, wel che in
der Arbe it von Lygia Clark (1920–1988) und Hélio Oitic i-
ca (1937 –1980) eine gr osse Rolle spi elten, stehen auch
imZentrumvonNetosWerk.ZunennensinddieThe-
men der Partizipation, der Interaktion und der Schaf-
fung einer ästhetischen Erfahrung jenseits des bloss
Visuellen. Angesichts dieses Interess es wird in Netos
Arbeit naturgemäss der menschliche Körper zentral ,
zum einen in se iner sichtbaren und versteckten Mor-
phologie als formale oder thematisc h e Referenz, aber
auch, indem die Kunst eine Erfahrung kreiert, die eine
weite sinnlich physis che Erfahrun g inspiriert und das
Raumgefühl, den T astsinn, den G eruchss inn und das
GehörebensoansprichtwiedasAuge:«WhatIamtry-
ingtodowithmyworkistoproposeanewideatofeel
and understan d our universe. I'm not pr oposing asolu-
tion or an escape, but rather a factor of well-being…
where the audience may find some s piritual peace.»
(Erne sto Neto)
Typisch für Kunstwerke des globalisierten Zeital-
ters sind Netos Arbeiten reisefähig – während sie an-
gefüllt und aufgehängt einen ga nzen Raum bespielen,
f inden sie zusammengefaltet in einer kleinen Schachtel
Pl atz. Auch in der vom Künstl er für das Ku nsthaus
geschaffenen insta lla tiven Pla stik «Me and My Self»
bilden Prozesse des biol ogischen Wachstums und der
organischen Veränderung von Körpe rn den formalen
Bezugsraum. Die zum einen archaisch, höhlenhaft ber-
ge nde, zum andern eb enso kühl, klar futuristische
Anmutung der knapp bis über den Fussboden herab-
hängenden S kulptur ergibt sich aus der Verwendung
grüner und weisser, sehr feine r, durchsichtiger Lycra-
stoffe. Diese werden mit Styroporkugeln (in andern
Arbeiten Netos zuweilen auch mit Gewürzen) angefüllt.
Die z us a mmengenähten Stoffb a hnen führen die Arbeit
durch eine exakt berechnete S tatik in ihre auf die
Raumnische hin konstruierte, die versc hiede nsten
muschel-, nieren-, br ustw arzen- und röhrenartigen
G ebilde evozierende Form. Erinnerungen an N abel-
schnüre, an Hodensäcke, an phallische Wülste und an
vaginale Öffnungen werden geweckt. Erotisch und sug-
ge stiv auf der einen Seite , ste ril, fast para medizinis ch
auf der andern, entfaltet sich im Se itenlicht ein subtiles
Spiel zwischen der eckig konstruktiven Licht- und
Raumhülle des Saales und dem weich fliess end, lasch
hängenden Gestus der Plastik, wel che die Besucher
eher durch sie hindurchströmen und -gleiten lassen
möchte, als sich von ihnen distanz i ert muster n zu las- sen. TobiaBezzola 79