Volltext: Jahresbericht 2009 (2009)

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italienischen Kunst an die internationale Avantgarde 
der Nachkriegszeit. In der lombardischen Metropo- 
le wurde zuerst die von Paris aus die internationale 
Kunstwelt dominierende gestisch oder lyrisch abs- 
trakte, «tachistisch» oder «informell» genannte Male- 
rei überwunden. Ab Mitte der Sechzigerjahre radikali- 
sierte eine jüngere Künstlergeneration in Turin diese 
Ansätze in dem neuen antitechnologischen Geist der 
68er-Generation: Die Turiner Arte Povera hatte eine 
Vorliebe für alles Archaische und Urtümliche. Sie setz- 
te in ihren Werken naturbelassene, «armselige» St offe 
und Materialien ein und wollte bestenfalls auf einem 
vorindustriellen, handwerklichen Niveau arbeiten. Los 
Angeles war kulturell eher für die Filmbranche oder 
für den Vergnügungspark Disneyland bekannt als für 
moderne und avantgardistische Kunst. Doch schon 
in der zweiten Hä lfte der Fünfzigerjahre begann sich 
dies zu ändern. Manche Künstler, die in den Sechzi- 
gerjahren in Los Angeles arbeiteten, liessen sich von 
der wuchernden neuen Stadt inspirieren. Viele experi- 
mentierten mit den dort verfügbaren neuen Hightech- 
Materialien und Verfahren. Andere verabscheuten 
dagegen die technische Zivilisation. Sie suchten sich 
ihre Aussteiger-Enklaven an abgelegenen Orten und 
arbeiteten nur mit Licht und Raum (Light and Space). 
Die dritte Fraktion der Szene bediente sich gern des 
Abfalls der Millionenstadt: eine «Junk-Kunst» schuf 
Assemblagen aus dem Material, dasdie riesigen Müll- 
halden in Fülle zur Verfügung stellten. 
Die Auss tell ung entstand in Zus amme narbeit 
mit dem Moderna Museet, Stockhol m, wo Paulo 
Venancio Filho und Annik a Gunnarson (Rio de Jane i- 
ro), Luca Massimo Barbero und Cecilia Widenheim 
HotSpots:RiodeJaneiro/Milano–Torino/ 
Los Angeles, 1956–1969 
Bis in die Fünfziger- und Sechzigerjahre des 20. Jahr- 
hunderts hatte die westliche zeitgenössische Kunst 
zwei unbestrittene geographische Zentren gehabt: 
ParisundNewYork.NunabererschienenneueStädte, 
neue Länder, neue Kontinente auf der Landkarte der 
modernen Kunst. Zu diesen pulsierenden Hot Spots 
gehörten die tropische Metropole Rio de Janeiro, die 
südalpine Industriezone zwischen Mailand und Turin 
sowie die Zukunftsstadt Los Angeles an der amerika- 
nischen Pazifikküste. 
Unsere Ausstellung ze igte vor diesem Hinter- 
grund der globalisierten Gegenwart einen Rückblick 
aufdieKunstzwischen1956und1969inRiodeJanei- 
ro,inMailandundTurinsowieinLosAngeles.Zum 
einen wurden prägnante und eigentümliche Phäno- 
mene und Entwicklungen herausgearbeitet, die die- 
sen Orten ihren typischen kulturellen und künstleri- 
schen Charakter gaben. Doch bei näherem Hinsehen 
machte unser Rückblick auf die drei Hot Spots auch 
das genaue Gegenteil bewusst: dass in den Räumen 
der Kunst die Grenzen verschwunden waren, bevor die 
ökonomischen, politischen und sozialen Räume dieser 
Entwicklung folgten. 
Rio de Janeiro war von einer pulsierenden kreati- 
ven Atmosphäre erfüllt. Die Stadt schüttelte das Erbe 
des Kolonialismus ab und erlebte eine ü ppige kulturel- 
le Blüte. Die künstlerische Bewegung des Neokonkre- 
tismus bestimmte die neue brasilianische Kunst und 
Architektur. Sie war der erste Beitrag des Landes zu 
einer universalen visuellen Sprache der Moderne. In 
Mailand und Turin erfolgte der Anschluss der jungen Ausstellun ge n
	        
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