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pe Junge Kunst der Vereinigung Zürcher Kunstfreunde
erworbene grosse Arbeit von Lucy Skaer weist schon
in ihrem Titel «Fabrication» auf die Thematisierung der
Herstellung: um einen grossen alten Ausziehtisch hän-
gen Abdrucke der Tischplatte in ihren verschiedenen
Zuständen und machen die Spuren ihres Gebrauchs
durch die Jahrhunderte sichtbar. Die komplexere Ins-
tallation von Pauline Boudry kommt quasi als Schau-
bude daher, die aussen Bilder der angepriesenen
«Sensation»,derFraumitBart,zeigt,diesaberinForm
von Reproduktionen nach Reproduktionen von «Zwi-
schenstufen» in der «Geschlechterkunde» von Magnus
Hirschfeld. Oszilliert hier das Dargestellte zwischen
männlich und weiblich, zwischen Zirkus und Wissen-
schaft,soder im Innern gezeigteFilm zwischen dem
in unterschiedlichen Perspektiven gesehenen Gegen-
standunddemBetrachter.«TheRestlessSubject»von
Runa Islam projiziert einen Film auf eine doppelseiti-
ge Projektionsfläche; er zeigt das Funktionieren eines
altenoptischenApparats,desThaumatrops,indemdie
getrennten Bilder eines Vogels und eines Käfigs durch
rasches Drehen virtuell ineinander verschmelzen.
Der Extremfall der Auflösung ins Performative sind
schliesslichdieKonzeptevonTinoSehgal,dienurnoch
aus einer Anleitung an Schauspieler bestehen, die die
Besucher des Museums unvermittelt mit einem gesti-
schen Ausbruch überraschen oder wiebei dem ange-
kauften«Thisisexchange»ineineDiskussionüberdas
Kunstsystem zu verwickeln suchen.
Auch dieses Jahr ergaben sich ein paar kleine
Ergänzungen zur lokalen Sammlung, die unvermittelt
auftauchen und ohne grossen Aufwand erfrischen-
de Perspektiven im historischen Bestand öffnen. Das
Ständlein, das Hirtenkinder derHeiligenFamilieineiner
italienischen Pergola bringen, zeigt die jugendfrische
Naivität und Stilsicherheit, die der frühverstorbene Zür-
cherJohannGeorgSchinzimKreisderNazarenerum
OverbeckundSchnorrvonCarolsfeldinRomum1820
erreichte. – Der «Selbstmörder imAtelier»von Niklaus
Stoecklinhingegenbringtendlicheinederunheimlichen
SzenendesBaslersinsKunsthausundsetztzugleichin
derseitlangemgepflegten Reihe von Atelierdarstellun-
kal begrenzte, symmetrisch verschränkte Farbflächen
aufgeteilt wird, entwickelte er die Position Richard Paul
Lohsesweiter.DerbereitsvorhandeneBestandvonvier
Arbeiten konnte durch fünf weitere Gemälde zu einem
repräsentativen Querschnitt durch sein Schaffen abge-
rundetwerden.DieübrigenBildersollenimSinnedes
Künstlers vorzugsweise an spezialisierte Museen ver-
äussert werden und so die Ausstrahlung seiner Kunst
über seine Heimatstadt hinaustragen; der Erlös aber
zum Ausbau dieser Stilrichtung in unserer Sammlung
eingesetzt werden.
Als bedeutendste Bereicherung der Sammlung
wird man die drei kleinen Gipsskulpturen Alberto Gia-
comettis bezeichnen, die dank dem Legat von Elisa-
bethundHansC.BechtlerundeinergrossenSpende
von Anna und Anton Bucher-Bechtler ausdemNach-
lassvon Pierre Matisse erworben werden konnten. Es
sinddreidersehrseltenenGipsoriginale,indenenGia-
comettivon1938bis1946ineinsamerSucheinParis
und Genf die Grundlage für sein reifes Werk erarbei-
tete: der mythische Nullpunkt seines «phänomenologi-
schen Realismus». Nur indemlichten,nahezuimma-
teriellen Gips lässt sich sein Bemühen, das plötzliche
Erscheinen eines Menschen in weiter Ferne zu erfas-
sen,inderSpannungzwischenderwinzigenFigurund
dem übergrossen Sockel erleben. Damit konnte die
letzte wesentliche Lücke in der Abfolge von Werken
geschlossen werden, die die Entwicklung Albertos von
den Anfängen des plastischen Schaffens, dem jugendli-
chenKopfDiegosvon1914,biszuseinenletztenBüsten
Lotarsin der Sammlung der Stiftung vergegenwärtigen.
Bei den Ankäufen aus den ordentlichen Mitteln
standen wie üblich Werke der internationalen aktuellen
Kunstszene im Vordergrund, wobei sich die Tendenz
zu installativen Arbeiten mit unterschiedlichen Medien
weiterhin akzentuierte. Matt Mullican gehörte zu den
Pionieren semiotischer Parallelwelten; die erworbene
Arbeit verbindet den Entwurf auf Papier, dessen Ent-
stehung unter Hypnose ein Videomonitor zeigt, mit der
gleich grossen und formidentischen Ausführung auf
Leinwand, die in einer komplizierten Frottage-Technik vonderZeichnungübertragenwurde.DievonderGrup-