84
DochwiekameszudiesenWinzlingen?1925sah
Giacometti nach seiner Lehrzeit bei Bourdelle keine
Möglichkeit, wie er die figürliche Plastik weiterentwi-
ckeln könnte, und so wandte er sich den abstrahie-
renden Avantgarde-Strömungen zu: dem Kubismus
und den von der afrikanischen Plastik inspirierten
Stilisierungen, die ihn 1929 in den Sog des Surrealis-
musführten.VonAndréBretonundDalíinihrenKreis
gezogen, schuf er die faszinierenden Schaumodelle
psychischer Beziehungen, auch die «Objets désagréa-
bles» und andere Werke, die ihn als den wichtigsten
Plastiker des Surrealismus ausweisen. Nebenbei aber
entstanden Ausstattungsgegenstände wie Lampen
und Vasen für Jean-Michel Frank, den Ensemblier der
Haute Volée.
DochimJuni1933reisstihnderToddesVaters
aus dieser sowohl künstlerisch wie politisch wider-
sprüchlichen und konfliktträchtigen Situation her-
aus.ErverbringtbisEnde1934diemeisteZeitinder
Schweiz; die psychologische Erschütterung und die
Distanz zu den Pariser Literaten lassen ihn immer
stärker an der Ernsthaftigkeit des surrealistischen
Unternehmens zweifeln. Er widmet sich wieder mit
Intensität dem figürlichen Abbilden, das er in Stampa
stets weitergepflegt hatte, wie vor allem ein plasti-
sches und zwei gemalte Bildnisse von Maria Fascia-
ti, der Haushalthilfe seiner Mutter, zeigen. Die letzten
surrealistisch berührten Arbeiten – der «Cube», der
«Tête-crâne» und die hieratisch thronende Figur des
«Obje t invisible» – entstehen während eines längeren
Pariser Aufenthaltes im Frühjahr 1934; sie sind von
Gedanken an denToddesVatersgeprägtund bedeu-
ten gleichzeitig den Abschied vom Surrealismus. Nach
Nun,dastehensietatsächlich– in grosser Entfernung,
die winzigen Figuren, wie lebende Erscheinungen. Es
funktioniert, wie Giacometti es sich vorgestellt hat –
jedenfalls wenn man weiss, dass dies seine Absicht
war,undmankommtnichtmehrlosdavon.
Auch Alberto selbst war von 1940 bis 1946
geban nt von diese m Phäno men: Ohne Unterlas s
arbeiteteerinParis,abJanuar1942inGenfund
nach Kriegsende wieder in seinem Atelier ander Rue
Hippolyte-Maindron an diesen selbst im Miniaturfor-
mat sorgfältig durchgestalteten Akten und Köpfen.
Zahlreiche, man darf sagen die gros se Mehrzahl,
zerstoben freilic h unter einer letzten Berühr ung mit
dem Messer, wohl jenem Armeemesser, dess en sich
A lberto stets bediente und das Bruno Giacometti vor
zwei Jahren der Sti ftung schenkte; erhalten sind etwa
zw anzig, die meis ten im Mus eum of M odern Art, vie-
le allerdings in lädiertem Zustand.1 Mit vier oder fünf
fuhrerimSeptember1945nachPariszurück–die
eine gröss ere Skulptur, die er zw anzig Mal zerstörte
und die er vor der Rückreise noch vollenden wollte,
befriedigte ihn anscheinend schlies slich doch nic ht.2
Nur die «Fe mme au chariot», die wie verges sen im
AtelierinMalojastandunderstindergrossenZür-
cher Retrospektive 1962 gezeigt wurde, erreichte
na hezu Lebensgrösse; in kleinen A b bildungen gleicht
sie ihren winzigen Schwes tern erstaunlich, und auch
ihr eignet etwas unnahbar E rscheinungsha f te s.3 Die
kl einen Figür chen aber tauchten schon im Oktober
1944 in der erste n N ummer von Skiras «Labyrinthe»
auf – knapp erahnbar, wie Giacometti in s einem dürf-
tigen Genfer Hotelzimmer an ihnen arbeitet – und
wurden bald zum Mythos .4
ALBERTO GIA COMET TIS MIKROSKULPTUREN