Full text: Jahresbericht 2009 (2009)

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DochwiekameszudiesenWinzlingen?1925sah 
Giacometti nach seiner Lehrzeit bei Bourdelle keine 
Möglichkeit, wie er die figürliche Plastik weiterentwi- 
ckeln könnte, und so wandte er sich den abstrahie- 
renden Avantgarde-Strömungen zu: dem Kubismus 
und den von der afrikanischen Plastik inspirierten 
Stilisierungen, die ihn 1929 in den Sog des Surrealis- 
musführten.VonAndréBretonundDalíinihrenKreis 
gezogen, schuf er die faszinierenden Schaumodelle 
psychischer Beziehungen, auch die «Objets désagréa- 
bles» und andere Werke, die ihn als den wichtigsten 
Plastiker des Surrealismus ausweisen. Nebenbei aber 
entstanden Ausstattungsgegenstände wie Lampen 
und Vasen für Jean-Michel Frank, den Ensemblier der 
Haute Volée. 
DochimJuni1933reisstihnderToddesVaters 
aus dieser sowohl künstlerisch wie politisch wider- 
sprüchlichen und konfliktträchtigen Situation her- 
aus.ErverbringtbisEnde1934diemeisteZeitinder 
Schweiz; die psychologische Erschütterung und die 
Distanz zu den Pariser Literaten lassen ihn immer 
stärker an der Ernsthaftigkeit des surrealistischen 
Unternehmens zweifeln. Er widmet sich wieder mit 
Intensität dem figürlichen Abbilden, das er in Stampa 
stets weitergepflegt hatte, wie vor allem ein plasti- 
sches und zwei gemalte Bildnisse von Maria Fascia- 
ti, der Haushalthilfe seiner Mutter, zeigen. Die letzten 
surrealistisch berührten Arbeiten – der «Cube», der 
«Tête-crâne» und die hieratisch thronende Figur des 
«Obje t invisible» – entstehen während eines längeren 
Pariser Aufenthaltes im Frühjahr 1934; sie sind von 
Gedanken an denToddesVatersgeprägtund bedeu- 
ten gleichzeitig den Abschied vom Surrealismus. Nach 
Nun,dastehensietatsächlich– in grosser Entfernung, 
die winzigen Figuren, wie lebende Erscheinungen. Es 
funktioniert, wie Giacometti es sich vorgestellt hat – 
jedenfalls wenn man weiss, dass dies seine Absicht 
war,undmankommtnichtmehrlosdavon. 
Auch Alberto selbst war von 1940 bis 1946 
geban nt von diese m Phäno men: Ohne Unterlas s 
arbeiteteerinParis,abJanuar1942inGenfund 
nach Kriegsende wieder in seinem Atelier ander Rue 
Hippolyte-Maindron an diesen selbst im Miniaturfor- 
mat sorgfältig durchgestalteten Akten und Köpfen. 
Zahlreiche, man darf sagen die gros se Mehrzahl, 
zerstoben freilic h unter einer letzten Berühr ung mit 
dem Messer, wohl jenem Armeemesser, dess en sich 
A lberto stets bediente und das Bruno Giacometti vor 
zwei Jahren der Sti ftung schenkte; erhalten sind etwa 
zw anzig, die meis ten im Mus eum of M odern Art, vie- 
le allerdings in lädiertem Zustand.1 Mit vier oder fünf 
fuhrerimSeptember1945nachPariszurück–die 
eine gröss ere Skulptur, die er zw anzig Mal zerstörte 
und die er vor der Rückreise noch vollenden wollte, 
befriedigte ihn anscheinend schlies slich doch nic ht.2 
Nur die «Fe mme au chariot», die wie verges sen im 
AtelierinMalojastandunderstindergrossenZür- 
cher Retrospektive 1962 gezeigt wurde, erreichte 
na hezu Lebensgrösse; in kleinen A b bildungen gleicht 
sie ihren winzigen Schwes tern erstaunlich, und auch 
ihr eignet etwas unnahbar E rscheinungsha f te s.3 Die 
kl einen Figür chen aber tauchten schon im Oktober 
1944 in der erste n N ummer von Skiras «Labyrinthe» 
auf – knapp erahnbar, wie Giacometti in s einem dürf- 
tigen Genfer Hotelzimmer an ihnen arbeitet – und 
wurden bald zum Mythos .4 
ALBERTO GIA COMET TIS MIKROSKULPTUREN
	        
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