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AKTIVITÄTEN
doch wild zu mischen. In vier offenen Räu men präsentierte
sich die «alte Kunst» – auf hellgelb bemalten Wänden, die
mit einer locker gewobenen Jute überzogen worden waren –
gruppiert um thematische Unterthemen wie den bäurischen
oder burlesk-grotesken Barock, oder das «Memento mori»,
die Stillleben und den höfischen Bar ock. Diese Werke von
Adriaen Brouwer, Bartolomeo Passer ott i, Jan Steen oder
Hyacinthe Rigaud kommunizierten mit den Objekten, Fotos,
Fil men und Installationen von Maurizio Cattelan, Nathalie
Djurberg, Ryan Trecartin / Lizzie Fitch oder Juergen Teller.
Wenn das Ausstellungsthema die Vitalität umkreiste, so war
damit auch eine «prekäre», vom Tod bedrohte, eine verlore-
ne, erträumte oder wiedererkannte «Lebendigkeit» gemeint,
wie sie auch im Begriff der «Entfremdung» aufscheint. Es
ist der Blick der Gegenwart auf die Geschichte, der in die-
ser Ausstellung den Akzent setzte. Für einmal sol lte die
Barockkunst von ihrer stilgeschichtlichen Be tonung be-
freit werden. Auch s ollte keines falls ein neobarocker Stil
für die Gegenwart postul iert werden, hat doch die aktuelle
Kunst eine Ausrichtung auf einen übergeordneten Stilwil-
len längst ab gestr eift.
Viele barocke Bilder dieser Ausstellung zeugen von ihrer
A uflehnung gegen die Harmonie und Ruhe der Renais-
sance und eine adlige Ges chmac k skultur . Das 17. Jahrhun-
dert ist auch ein Bilderlabor, in welchem der rasch sich
entwickelnde Kunstmarkt die Beliebtheit gewisser neuer
Themen und den Geschmack eines bürge rlic hen Publi-
kums te stet. Angesichts der humorvoll angesprochenen
Erotik etwa in Simon Vouets «Raub der Europa» oder der
üppig- de ftigen « Fl e ischauslage» von Pieter Ae rtsen lässt
sich eine antiklassis ch e, «defti ge» Kraft entdecken, w elche
die h eutigen Besucher sehr dir ekt anzusprechen vermag .
Gleichsam als prominentes «Sch arnier» z wischen den Un-
terthemen «Eros» und « Albtraum» bot sich Urs Fis chers
Werk an, die Skulptur eines grossen Bet ts, das sich wie
durch W asser hindurchgesehen hellblau und opt isch gum-
miweich verzogen hat.
Diana Thaters e indrücklic he Video inst allat ion, «Chernobyl»,
verband sich mit der Düsternis der B ilder von zusammen-
br echend en Welten, Kirchen und klassi schen Ar chite ktur en
von Monsù Desiderio, während die Doppelmoral, die Robert
Crumb in seiner Bil dge schichte anspricht, auch in Ge rrit
ner, Aquarellisten und Grafiker waren, die in der zweite n
Häl fte des 18. Jahrhunderts den Kunstmarkt belebten. Im
Zuge einer eur opaweiten Dezentr alisie run g entstanden um
1800 in städtisch e n und ländlichen Gebieten neue Kun st-
zentr en, die durch Zeichenunterricht, Ausstellungen und
Kunsthandel br eite Bevölkerungsschichten insbesondere
an der heimischen Landschaft und ihren Darstellungswei-
sen partizipier en liessen. Diesem Fragenkomplex war das
internationale Kolloquium gewidmet, das vom Schwei zeri -
schen In stitut für Kunstwissenschaft in Zusammenarbeit
mit dem Kun sthaus Zü rich vom 14. bis 15. Juni durchge-
führt wur de.
Für die Unterstützung danken wir der Ernst von Siemens
Kunststiftung. Bernhard von Waldkirch
DEFTIG BAROCK. VON CATTELAN BIS ZURBARÁN –
MANIFESTE DES PREKÄR VITALEN
Die Ausstellung «D eftig Bar ock» präsentierte eine Gegen-
überstellung von Kunst der Gegenwart mit Werken aus dem
17. Jahrhundert. Mit «deftig» wurde das Thema der Vitalität
angesprochen, das in der Barockliteratur immer wieder als
«Lebensnähe» oder als das «pralle Leben» zitiert wird.
Sanft sollten dabei gewisse Konventionen der Präsentation
durchbrochen werden, um für einmal das jeweils getrennte
Publikum zu vereinen: das für die «Alten Meister» und jenes
für die aktuelle Kunst. Den jeweiligen Zeitepochen wurden
gleich viel Raum und Gewicht zugestanden, ohne diese je-