Full text: Jahresbericht 2012 (2012)

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AKTIVITÄTEN 
doch wild zu mischen. In vier offenen Räu men präsentierte 
sich die «alte Kunst» – auf hellgelb bemalten Wänden, die 
mit einer locker gewobenen Jute überzogen worden waren – 
gruppiert um thematische Unterthemen wie den bäurischen 
oder burlesk-grotesken Barock, oder das «Memento mori», 
die Stillleben und den höfischen Bar ock. Diese Werke von 
Adriaen Brouwer, Bartolomeo Passer ott i, Jan Steen oder 
Hyacinthe Rigaud kommunizierten mit den Objekten, Fotos, 
Fil men und Installationen von Maurizio Cattelan, Nathalie 
Djurberg, Ryan Trecartin / Lizzie Fitch oder Juergen Teller. 
Wenn das Ausstellungsthema die Vitalität umkreiste, so war 
damit auch eine «prekäre», vom Tod bedrohte, eine verlore- 
ne, erträumte oder wiedererkannte «Lebendigkeit» gemeint, 
wie sie auch im Begriff der «Entfremdung» aufscheint. Es 
ist der Blick der Gegenwart auf die Geschichte, der in die- 
ser Ausstellung den Akzent setzte. Für einmal sol lte die 
Barockkunst von ihrer stilgeschichtlichen Be tonung be- 
freit werden. Auch s ollte keines falls ein neobarocker Stil 
für die Gegenwart postul iert werden, hat doch die aktuelle 
Kunst eine Ausrichtung auf einen übergeordneten Stilwil- 
len längst ab gestr eift. 
Viele barocke Bilder dieser Ausstellung zeugen von ihrer 
A uflehnung gegen die Harmonie und Ruhe der Renais- 
sance und eine adlige Ges chmac k skultur . Das 17. Jahrhun- 
dert ist auch ein Bilderlabor, in welchem der rasch sich 
entwickelnde Kunstmarkt die Beliebtheit gewisser neuer 
Themen und den Geschmack eines bürge rlic hen Publi- 
kums te stet. Angesichts der humorvoll angesprochenen 
Erotik etwa in Simon Vouets «Raub der Europa» oder der 
üppig- de ftigen « Fl e ischauslage» von Pieter Ae rtsen lässt 
sich eine antiklassis ch e, «defti ge» Kraft entdecken, w elche 
die h eutigen Besucher sehr dir ekt anzusprechen vermag . 
Gleichsam als prominentes «Sch arnier» z wischen den Un- 
terthemen «Eros» und « Albtraum» bot sich Urs Fis chers 
Werk an, die Skulptur eines grossen Bet ts, das sich wie 
durch W asser hindurchgesehen hellblau und opt isch gum- 
miweich verzogen hat. 
Diana Thaters e indrücklic he Video inst allat ion, «Chernobyl», 
verband sich mit der Düsternis der B ilder von zusammen- 
br echend en Welten, Kirchen und klassi schen Ar chite ktur en 
von Monsù Desiderio, während die Doppelmoral, die Robert 
Crumb in seiner Bil dge schichte anspricht, auch in Ge rrit 
ner, Aquarellisten und Grafiker waren, die in der zweite n 
Häl fte des 18. Jahrhunderts den Kunstmarkt belebten. Im 
Zuge einer eur opaweiten Dezentr alisie run g entstanden um 
1800 in städtisch e n und ländlichen Gebieten neue Kun st- 
zentr en, die durch Zeichenunterricht, Ausstellungen und 
Kunsthandel br eite Bevölkerungsschichten insbesondere 
an der heimischen Landschaft und ihren Darstellungswei- 
sen partizipier en liessen. Diesem Fragenkomplex war das 
internationale Kolloquium gewidmet, das vom Schwei zeri - 
schen In stitut für Kunstwissenschaft in Zusammenarbeit 
mit dem Kun sthaus Zü rich vom 14. bis 15. Juni durchge- 
führt wur de. 
Für die Unterstützung danken wir der Ernst von Siemens 
Kunststiftung. Bernhard von Waldkirch 
DEFTIG BAROCK. VON CATTELAN BIS ZURBARÁN – 
MANIFESTE DES PREKÄR VITALEN 
Die Ausstellung «D eftig Bar ock» präsentierte eine Gegen- 
überstellung von Kunst der Gegenwart mit Werken aus dem 
17. Jahrhundert. Mit «deftig» wurde das Thema der Vitalität 
angesprochen, das in der Barockliteratur immer wieder als 
«Lebensnähe» oder als das «pralle Leben» zitiert wird. 
Sanft sollten dabei gewisse Konventionen der Präsentation 
durchbrochen werden, um für einmal das jeweils getrennte 
Publikum zu vereinen: das für die «Alten Meister» und jenes 
für die aktuelle Kunst. Den jeweiligen Zeitepochen wurden 
gleich viel Raum und Gewicht zugestanden, ohne diese je-
	        
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